Oper als Spiegel der Gesellschaft
Am 26. Jänner 2026 feiert die Oper „The Rape of Lucretia“ von Benjamin Britten im Max Schlereth Saal der Universität Mozarteum Premiere. Die beiden Ausstatterinnen der Produktion, Lena Matterne und Theresa Staindl, sprechen im Interview über weibliche Identität, Selbstbestimmung und gesellschaftliche Verantwortung.
Theresa, du bist Alumna der Uni Mozarteum und hast dein Szenografie-Studium im Mai 2024 abgeschlossen. Wie sieht dein Alltag aus, was hat sich seit deinem Studienabschluss beruflich getan?
Theresa: Ich bin jetzt Produktionsleiterin im Kostüm bei den Bregenzer Festspielen für die See-Produktion. Ich reise also viel hin und her – zwischen Vorarlberg und Wien, wo ich lebe und immer wieder an kleineren Projekten in der Werbung als Ausstatterin und im Kostüm arbeite. Und nun darf ich auch wieder in Salzburg am Mozarteum Kostümbild machen, eine Aufgabe, auf die ich mich sehr freue.
Lena, du bist im 4. Jahr deines Szenografie-Studiums: Welche Aspekte des Studiums machen dir besonders Spaß? Was ist in deinen Augen das Besondere an dieser Ausbildung?
Lena: Die Kombination aus Theorie und Praxis ist wohl das, was einen an die Universität Mozarteum führt. Das Besondere ist die von der Universität unterstützte Begegnung von Regie, Bühnen- und Kostümbild, die sich oft mit den verschiedenen Musikdepartments zusammenschließen, um so diverse Projekte und Ensembles entstehen zu lassen, die über den universitären Raum hinausgehen. So wird schon im Studium ein Fundament für künstlerisches Schaffen gelegt.
Euer aktuelles gemeinsames Projekt ist Benjamin Brittens „The Rape of Lucretia“ mit der Opernklasse von Gernot Sahler (Musikalische Leitung) und Alexander von Pfeil (Szenische Leitung). Es geht um Vergewaltigung, Ausdruck vermeintlicher männlicher Überlegenheit und Macht. Wie ist euer persönlicher Zugang zu diesem Thema?
Lena: Der persönliche Zugang zu diesem Thema liegt im Frau sein selbst. Mit der Lupe auf Lucretia geschaut, ist „The Rape of Lucretia“ eine aktuelle Skizze der Situation von Frauen, auch mehr als 2000 Jahre nach der Gründung Roms. Wir versuchen, die Frauenbewegung weiterhin durch verschiedene Zugänge in der Moderne lebendig zu halten und mit Stoffen wie „The Rape of Lucretia“ tradierte Geschlechterrollen neu zu bewerten. Ein Weiterdenken dieses historischen Stoffes im Kontext der Frauenbewegung als andauernde Auseinandersetzung mit der Frage, wie weibliche Identität und Stimme in unserer Gesellschaft verhandelt werden. Mit diesem Zugang hat sich für die Bühne schnell die Fragestellung ergeben, wie sich Lucretia aus diesen festgebauten Rahmen herausarbeiten kann. Vielleicht liegt die Antwort eben nicht in dem historischen Moment selbst, sondern in der Rekonstruktion mit Blick aus der Gegenwart.
Wenn ihr euch neuen Projekten und Inhalten annähert: Wie schafft ihr es, durch Kostüme bzw. Bühnenelemente Stimmungen zu erzeugen? Wendet ihr in der Ausbildung Gelerntes unmittelbar an?
Lena: Das Annähern an Inhalte von neuen Projekten kann auf unterschiedlichsten Wegen geschehen. Das ist ein sehr breit gefächertes Spektrum – von Recherche-Lektüre (Nachrichten, Literaturverwandte Inhalte, Film und Fernsehen etc.) bis hin zur Ikonen-Darstellung in der Bildenden Kunst, also im Museum oder der Architektur. Das Herausarbeiten eines Motivs, welches im Stoff (Theater, Oper etc.) verhandelt wird, ist dabei entscheidend für die Setzung einer Grundstimmung im Bühnen- oder Kostümbild. Bei „The Rape of Lucretia“, war es mir wichtig, die Instrumentalisierung des weiblichen Körpers aufzugreifen und Lucretia selber in ein Setting von sozialer Ungleichheit zu stecken, welches sexuelle Gewalt nicht nur ermöglicht, sondern diese auch systematisch bedingt wird. Lucretia ist kein Einzelfall, sondern Symptom eines Systems, das den Frauenkörper als Trägerin männlicher Ehre und gesellschaftlicher Ordnung versteht – die Frau bleibt ein Feld sozialer Kontrolle und symbolischer Macht. Mit diesem Ausgangspunkt sollte eine Stimmung durch den Raum geschaffen werden, die auf der einen Seite zeigt, wer sich sicher fühlen darf und auf der anderen, wer in Bedrohung lebt.
Theresa: Das Kostüm einer Figur kann man als Erweiterung dieser sehen. Ich finde, es soll das Innere nach außen tragen und auf den ersten Blick ein Gefühl oder einen bestimmten Eindruck vermitteln. Nun ist es beispielsweise bei „The Rape of Lucretia“ so, dass Lena und ich durch den Bühnenraum und die Kostüme die gesellschaftlichen Strukturen, die Lena beschrieben hat, herausarbeiten und eindeutig sichtbar machen wollen. Das Kostümbild wird die Machtpositionen der Figuren verdeutlichen. So trägt die junge Dienerin Lucia eine Schürze aus Baumwolle, die sie mehrfach fesselt. Prinz Tarquinius trägt hochwertigere Stoffe, die mit Spitze aufwendig besetzt sind. Der Einsatz von verschiedenen Stoffqualitäten und Farben, die entweder leuchtend oder bedeckt sind, unterstützen die Verdeutlichung der Machtpositionen oder Unterdrückung der Figuren.
Der Stoff von Brittens Oper ist 500 v. Chr. angesiedelt und somit sehr alt. Das Sittenbild, das von der damaligen Gesellschaft gezeichnet wird, ist fragwürdig. Was macht dieses Thema heute mit euch als weiblich gelesene Personen?
Lena: „The Rape of Lucretia“ findet Umgang mit den patriarchalen Machtverhältnissen und wie sie vor allem heute noch nachwirken. Als weiblich gelesene Person oder auch als nicht weiblich gelesene Person stellt sich die Frage, warum Narrative wie sexuelle Gewalt, Ehrverlust und gesellschaftliche Ausgrenzung so stark auf Schuld oder Reinheit der Frau aufbauen. Eine Reflexion, diesen Stoff als Spiegel zu sehen, um Selbstbestimmung und gesellschaftliche Verantwortung mitzutragen.
Theresa: „The Rape of Lucretia“ stellt die Frage, warum weiblich gelesene Personen noch immer Schuld und Scham für das Handeln anderer auf sich nehmen, oder bei sich selbst suchen – selbst dann, wenn ihnen absichtlich und ohne Rücksicht Leid zugefügt wurde. Ein gesellschaftliches Umdenken ist hier nach wie vor notwendig. Diese Fragestellung ist auch heute, rund 2000 Jahre später, noch aktuell und relevant – wie man am Fall Gisèle Pelicot mitverfolgen konnte. Um Gisèle Pelicot zu zitieren: „Die Schuld muss die Seiten wechseln.“
Ist der Auftrag zur Bewusstseinsbildung und das Erzielen eines „Lerneffekts“, der Anstoß Dinge zu hinterfragen, im kunstuniversitären Kontext hinsichtlich solcher hochbrisanten Themen eurer Meinung nach besonders wichtig?
Lena: Dinge zu hinterfragen ist über den universitären Kontext hinaus sehr wichtig, um sich seiner Position, dem eigenen Handeln und den damit verbundenen Wirkungen bewusst zu werden. Studierende lernen an der Universität Mozarteum nicht nur wie man darstellt, sondern wir gehen vor allem der Frage nach dem „Warum?“ nach. Bei so einem Lerneffekt braucht es Diskussion, Reibung, Perspektivwechsel und Konfrontation – eine Bewusstseinsbildung und Schärfung.
Theresa: Dinge zu hinterfragen, sie in einen neuen Kontext zu stellen und mit dem eigenen Handeln zu verknüpfen – und dadurch hoffentlich einen gesellschaftlichen Wandel oder zumindest ein Umdenken in dem einen oder anderen Kopf anzustoßen – sehe ich als eine der Hauptaufgaben der Oper selbst. Oper berührt und bewegt durch die Bilder, die sie mit Bühne, Kostüm und Musik erschafft, und greift Themen auf, die – damals wie heute, ob 500 v. Chr. oder in der Gegenwart – gesellschaftliche Fragen aufwerfen, die es zu hinterfragen gilt. Sehr oft sind die Themen immer noch aktuell. Dass wir die Möglichkeit haben, uns im universitären Rahmen mit all diesen Aspekten auseinanderzusetzen und eigene Ideen sowie Projekte zu verwirklichen, ist eine wunderbare Möglichkeit, die uns die Universität Mozarteum bietet.
Zu den Terminen
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26.1.202619:00 UhrMax Schlereth Saal
The Rape of Lucretia „Go back, Tarquinius!“ – ruft der erzählende Chronist der Oper dem etruskischen Königssohn zu. Unaufhaltsam nimmt die Tragödie jedoch ihren Lauf: Tarquinius fällt über Lucretia, die Gattin seines Kampfgenossen Collatinus her und vergewaltigt sie, trotz erbittertem Widerstand. -
27.1.202619:00 UhrMax Schlereth Saal
The Rape of Lucretia „Go back, Tarquinius!“ – ruft der erzählende Chronist der Oper dem etruskischen Königssohn zu. Unaufhaltsam nimmt die Tragödie jedoch ihren Lauf: Tarquinius fällt über Lucretia, die Gattin seines Kampfgenossen Collatinus her und vergewaltigt sie, trotz erbittertem Widerstand. -
29.1.202619:00 UhrMax Schlereth Saal
The Rape of Lucretia „Go back, Tarquinius!“ – ruft der erzählende Chronist der Oper dem etruskischen Königssohn zu. Unaufhaltsam nimmt die Tragödie jedoch ihren Lauf: Tarquinius fällt über Lucretia, die Gattin seines Kampfgenossen Collatinus her und vergewaltigt sie, trotz erbittertem Widerstand. -
31.1.202617:00 UhrMax Schlereth Saal
The Rape of Lucretia „Go back, Tarquinius!“ – ruft der erzählende Chronist der Oper dem etruskischen Königssohn zu. Unaufhaltsam nimmt die Tragödie jedoch ihren Lauf: Tarquinius fällt über Lucretia, die Gattin seines Kampfgenossen Collatinus her und vergewaltigt sie, trotz erbittertem Widerstand.