„Das ist ja richtig tolle Musik!“

15.01.2024
Interview
Gernot Sahler | © Elsa Okazaki

Mit Hans Werner Henzes „Elegie für junge Liebende“ kommt ab 26. Jänner die zweite Produktion im Wintersemester 2023/24 des Departments Oper & Musiktheater auf die Bühne des Max Schlereth Saals. Ein Gespräch mit Maestro Gernot Sahler über sogenannte „Neue Musik“, die großen Herausforderungen für angehende Künstler*innenpersönlichkeiten und Einblicke in die pädagogische Praxis während der Einstudierung.

Elegie für junge Liebende

  • 26., 29. (+ Livestream) & 30.1.2024 um 19:00 Uhr

  • 27.1.2024 um 17:00 Uhr


    Max Schlereth Saal

 

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Nach Così fan tutte im vergangenen Semester könnte mit Hans Werner Henzes Elegie für junge Liebende (UA 1961) der Gegensatz kaum größer sein. Warum fiel eure Entscheidung auf diese Oper, in der es in den Worten des Komponisten darum geht, „die Figur des Künstlers, dieses Konzept vom Heldenleben, in Frage zu stellen“ (Hans Werner Henze)?

Im Masterstudium Oper und Musiktheater werden idealerweise alle Stilepochen zumindest einmal intensiv berührt: grob gesagt heißt dies Barock, Wiener Klassik, Romantik und die Moderne. Hier also mit Henzes Elegie ein eindeutig moderner Akzent, wie er später im Theater in jeder Spielzeit auch immer enthalten ist. Dafür erarbeiten wir das nötige „Rüstzeug“, indem man sich mit Atonalität, komplexer Rhythmik, Sprechgesang und weiteren ungewöhnlichen Spielanweisungen auseinandersetzt.

Mit der Figur der Künstler*in als ein verklärtes Heldenleben muss sich jede angehende Künstlerpersönlichkeit auseinandersetzen. Das Libretto „lehrt“ uns hier, wie sehr man durch eigene Selbststilisierung auch fehlgeleitet werden kann. Es kann passieren, dass der Zugang zur eigenen inneren Inspiration verschlossen bleibt, manchmal phasenweise. Hier greifen viele dann zu Hilfsmitteln, indem sie sich die Inspiration/Interpretation anderer zu eigen machen, andere Personen, die sie schlimmstenfalls noch in einer Abhängigkeit von sich halten, um sie bei Bedarf jederzeit nutzen zu können. Das ist grenzwertig... Unser Künstler (der Protagonist, der Dichter „Gregor Mittenhofer“) geht hier sogar notfalls über Leichen. Am Ende steht dann ein scheinbar „reines“ Kunstwerk und keiner ahnt die düstere Vorgeschichte seiner Entstehung.

Ist die Skepsis gegenüber Musik des 20. und 21. Jahrhunderts unter den Studierenden – besonders zu Beginn der Einstudierungsphase – zu spüren gewesen? Gibt es diese Skepsis überhaupt (noch)? Wie gehen die Studierenden mit der Herausforderung um, sich dieser sehr schweren und hochkomplexen Musik anzunähern, diese zu verinnerlichen und die Rollen über die musikalische Identifikation zu ihren eigenen zu machen?

Diese Skepsis ist leider immer noch stark vorhanden. Unterstützt wird jene durch die technischen Schwierigkeiten beim Erlernen der Partie. Das ist sehr mühevoll und mit großer Arbeit verbunden. Aber dafür sind wir Lehrende ja auch engagiert, um hier für die nötige positive Motivation zu sorgen. Hat man diese anfängliche Hürde einmal überwunden, stellt sich aber meistens eine große Zufriedenheit und auch Wertschätzung gegenüber dem Werk ein, vorausgesetzt es handelt sich um Meisterwerke wie Henzes Elegie. Umso wichtiger ist es, dass unsere Studierenden sehr frühzeitig diese Erfahrung machen, um spätere Vorbehalte aufzulösen. „Das ist ja richtig tolle Musik!“, habe ich schon ein paarmal von Studierenden nach einiger Zeit dann endlich gehört... Ach wirklich!...

Spaß beiseite: ich halte es für eine unserer wichtigsten Aufgaben, angehende Sängerdarsteller*innen auszubilden, die vor allem einen Zugang zu modernem, aktuellem Musiktheater haben. Wir wollen ja am Puls der Zeit bleiben. Das möchte ich in Zukunft noch verstärken.

Wieviel Emotion verlangst du den Studierenden in der musikalischen Gestaltung ab, in einem Werk, das nach der Uraufführung im Jahr 1961 in Schwetzingen von Werner Oehlmann als „erbarmungslose, enthüllende Kritik menschlicher Individualität, eine pessimistische Tragödie, die die Menschen in das Gefängnis ihres Wahnes einschließt und ihre Idole, Kunst und Liebe, als Trugbilder entlarvt“ (aus: Das Orchester: Zeitschrift für Orchesterkultur und Rundfunk-Chorwesen 9/9, Sept, 1961, S. 259ff.) bezeichnet?

Wir brauchen hier wie dort die gesamte Palette schauspielerischer, musikalisch-sängerischer Fähigkeiten. Da gibt es keinen Unterschied zwischen Monteverdi, Mozart, Tschaikowski oder Henze. Ob nun Poppea eiskalt Auftragsmorde erteilt und sogar selbst Hand anlegt, oder der Künstler Mittenhofer in Henzes Elegie zwei junge Menschen bewusst in den Bergen erfrieren lässt, obwohl er sie retten könnte: Beides erfordert perfideste kriminelle Energie. Das will auch „gespielt“, dargestellt, intensiv gesungen sein...

Das Orchester ist durchwegs solistisch besetzt, es gibt eine große Auswahl an Schlaginstrumenten, die Besetzung ist sehr speziell (u.a. Mandoline, Celesta, Vibraphon, Glocken etc.). Manche Instrumente werden einzelnen Charakteren zugeordnet – welche Herausforderungen gibt es für dich als Dirigent, diese vielgestaltige Musik „zusammenzuhalten“ und den Studierenden innerhalb der komplexen Strukturen Halt zu geben?

Ich freue mich sehr auf dieses Orchester, bestehend aus 22 Solist*innen, sechs davon Schlagzeuger*innen, Gitarre, Saxophon, Holz- und Blechbläser*innen und dem Streichquintett. Es gibt sogar die singende Säge, eine wirkliche Säge, gebogen und gespielt mit einem Kontrabassbogen. Die Anforderungen sind für alle extrem hoch. Da bin ich aber sehr zuversichtlich, weil wir an der Universität Mozarteum ein sehr hohes instrumentales Niveau unter den Studierenden zur Verfügung haben.

Die Oper wird in einer etwas gekürzten Fassung erklingen, die ihr selbst erarbeitet habt. Worauf wurde bei den Strichen besonderes Augenmerk gelegt, was durfte deiner Meinung nach auf keinen Fall gestrichen werden und wodurch zeichnet sich die neue Fassung aus?

Ja wir haben etwas gestrichen, um uns und auch das Publikum nicht zu überfordern. Natürlich haben wir die entscheidenden Stellen drin gelassen. Leitfaden war die Geschichte, dass das Libretto immer noch mühelos erzählt werden kann. Da es in einer Universität vor allem auch um die Pädagogik, das Lernziel geht, haben wir uns diese Freiheit genommen. Es geht darum, den Stil zu lernen, als Künstler*in zu wachsen, die Aufführungserfahrung mit Szene und Orchester zu machen und weniger darum, eine für die Welt exemplarische Aufführung von Henzes Elegie zu erarbeiten. Es wird trotzdem sehr sehr sehenswert, das zeichnet sich jetzt schon ab. Alle sind gerade sehr euphorisch und enthusiastisch.

Gibt es persönliche Bezüge zu Hans Werner Henze? Wie ist dein Zugang zu seiner Musik (natürlich im speziellen zur Musik der Elegie für junge Liebende)?

Meinen ersten Zugang zu Henze bekam ich im Staatstheater Mainz mit seiner Oper Der junge Lord, in der der Protagonist am Ende seine Maske zieht und es sich herausstellt, dass die gesamte hohe Gesellschaft tatsächlich auf einen echten Schimpansenaffen hereingefallen ist. Musik und Story haben mich damals wie heute umgehauen. Henze steht für mich in direkter Nachfolge von Richard Strauss´schem Musiktheater, transportiert ins 21. Jahrhundert. Ein Komponist, der alle Stile und Genre mühelos beherrschte und daraus seinen eigenen Personalstil entwickelt hat.

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