Was hat Dich ursprünglich zur Chorleitung geführt – der Gesang, das Dirigieren oder die Arbeit mit Menschen?
Ich habe in meiner Kindheit im Kinder-, später im Mädchenchor in Dresden gesungen. Mit 15 oder 16 hat mich meine Chorleiterin mit zu einem einwöchigen Chorleiterseminar vom Chorverband mitgenommen. Dort lernte ich die Grundlagen des Dirigierens und sang jeden Abend in einem großen gemischten Chor von über 100 Teilnehmer:innen. Das war ein sehr prägendes Erlebnis für mich. Danach durfte ich im Mädchenchor Stimmgruppen- und Chorproben leiten. Bis zum Abitur war ich jedes Jahr auf diesem Seminar und probierte mich vor großem Chor aus. Damals war mir noch nicht bewusst, wie umfassend die Aufgaben einer Chorleiterin sind und welcher Kompetenzen es bedarf.
Du hast in Rostock, Greifswald und Dresden studiert – welche Station hat Dich musikalisch am meisten geprägt?
Ich wäre jetzt nicht hier, wenn ich nicht alle diese Stationen durchlebt und erlebt hätte. Die längste Zeit habe ich in Dresden verbracht, bis zum Abitur war ich auf der Kreuzschule, einem musisch-künstlerisches Gymnasium, wo auch der berühmte Dresdner Kreuzchor beheimatet ist. Ich habe am Heinrich-Schütz-Konservatorium in Dresden, Flöte, Klavier und Klarinette gelernt und war im Mädchenchor, mit 15 habe ich angefangen bei den Dresdner Musikfestspielen zu arbeiten und durfte alle Konzerte besuchen und mich auch mit Künstler:innen unterhalten. Das hat nicht nur meinen musikalischen Horizont erweitert, sondern meinen weiteren Weg geprägt.
Die Hochschule für Musik und Theater in Rostock war sehr familiär, ich habe im Hochschulchor und im Kammerchor gesungen und war auf vielen Chorwettbewerben und Reisen. Im Musikgymnasium Schwerin war ich als Stimmbildnerin für den Jugendchor und als Korrepetitorin jedes Jahr mit auf Chorreise. Später hatte ich eine musikalische Assistenz beim Hochschulchor.
Nach Greifswald hat es mich eigentlich nur anfänglich verschlagen, da ich am Institut für Sportwissenschaften in Rostock zwar die Aufnahmeprüfung bestanden, aber keinen Studienplatz bekommen habe. Daher habe ich parallel in Greifswald angefangen zu studieren und bin nach dem 3. Semester nach Rostock gewechselt. Neben allen gängigen Sportarten habe ich Sportmedizin, Biomechanik und Sportpsychologie als Hauptfächer abgeschlossen. Und hätte ich die Aufnahmeprüfung für Dirigieren nicht bestanden, hatte ich das Angebot ich in Rostock in Biomechanik zu promovieren. An der Musikhochschule in Dresden wollte ich studieren, weil mich die Klangkultur vom RIAS Kammerchor unglaublich beeindruckt hat und der damalige Leiter Hans-Christoph Rademann in Dresden eine Chorleitungsklasse hatte sowie den Dresdner Kammerchor leitete. Da ich die Aufnahmeprüfung bestand, wurde wieder Dresden meine nächste musikalische Station. Ein Jahr später kam Orchesterdirigieren bei Ekkehard Klemm noch hinzu, bei dem ich die Assistenz bei der Dresdner Singakademie innehatte und dem ich sehr dankbar bin, was ich im Studium alles lernen und praxisnah ausprobieren durfte. Ein Lehrer, der seine Studierenden immer unterstütz und positiv bestärkt hat.
Gibt es ein Konzert oder Projekt aus Deiner bisherigen Laufbahn, das für Dich und deine Arbeit eine besondere Bedeutung hat?
Es ist tatsächlich die Pluralität der Erlebnisse und Herausforderungen: Mit dem Dresdner Kammerchor, später mit dem VocalConsort Berlin bin ich noch während des Studiums in vielen Städten und Konzerthäusern in Europa, Asien und in Israel gewesen und konnte aus der Sängerinnenperspektive unglaublich viele Handschriften berühmter Dirigent:innen in Proben, Konzerten und CD-Produktionen kennenlernen. Blomstedt, Creed, Mc Creesh, Chailly, Young, Thielemann sind dabei nur einige wichtige Persönlichkeiten. Nach dem Studium habe ich den Unichor in Dresden und dessen Kammerchor übernommen und in 12 Jahren über 200 Konzerte mit Musik aller Stilepochen, Genres, in a cappella und Chorsinfonik einstudiert und aufgeführt. Seit 2012 habe ich auch als freischaffenden Dirigentin und Chorleiterin an der Semperoper in Dresden gearbeitet, sowie Choreinstudierungen für das Staatsschauspiel in Dresden übernommen. Außerdem habe ich im Rahmen der Jungen Szene an der Semperoper das Projekt ChorAlarm geleitet und Chorförderung in den Schulen, sowie SingAlongs mit Schüler:innen aller Schulformen geleitet
Was hat Dich daran gereizt, die Professur für Chor- und Ensembleleitung am Mozarteum anzunehmen?
Ich bin in den letzten fünf Jahren zwischen Salzburg und Dresden gependelt – ein hoher Aufwand, besonders während der Pandemie, als Chorproben und Opernarbeit kaum möglich waren. Trotz meines Vertrags an der Uni Dresden war das auf Dauer keine Lösung. Nach einer Vertretung in München und einer Senior-Artist-Stelle in Wien bewarb ich mich auf die ausgeschriebene Professur in Salzburg, als Nachfolge von Herbert Böck. In dieser Stelle vereinen sich für mich die erfrischende Arbeit mit jungen Erwachsenen, die Vermittlung von dirigentischem Handwerk, die Entdeckung der Chormusik aller Stilepochen, Genres und Ensembleformationen, chorische Stimmbildung und anspruchsvolle Kammerchorarbeit.
Du warst bereits als Gast in Salzburg, bei den Osterfestspielen, beim Bachchor und auch am Mozarteum: Wie waren deine ersten Monate „fix“ in Salzburg?
Die ersten Monate waren schon eine Herausforderung, da es so viele verschiedene Studien und Curricula gibt. Ich habe keine Professur mit einer eigenen Klasse, sondern zu mir können Studierende fast aller Studien kommen. Das erschwerte etwas die Übersicht. Aber das Schöne an diesem Haus ist, dass man aus ganz vielen Abteilungen Unterstützung bekommt. Vom Lehrmanagement über die Veranstaltungstechnik, PR, Druckerei, Bibliothek, Personalentwicklung, Veranstaltungsmanagement, den Kollegen aus den Departments und dem Rektorat. Das hat mir meinen Einstieg sehr erleichtert. Herzlichen Dank dafür! Und: Die Arbeit mit den Studierenden taugt mir sehr, wie man in Österreich zu sagen pflegt, und ich komme sehr gern ins Mozarteum.
Du hast mit so vielen Orchestern und Chören weltweit gearbeitet, bis 2024 auch den Universitätschor Dresden geleitet – was nimmst Du aus dieser Vielfalt mit an das Mozarteum?
Chorsingen ist für mich die schönste Ausdrucksform. Beim gemeinsamen Singen hört und schaut man aufeinander, atmet gemeinsam, hat einheitliche Vokalfarben, im Idealfall eine gemeinsame Stückvorstellung. Wenn diese Parameter ineinandergreifen und die Akkorde einrasten, entsteht eine Homogenität im Klang, die unglaublich berührend ist. Als Dirigentin versuche ich, durch intensive Probenarbeit an der Partitur diesen besonderen Klang über Gesten zu entwickeln und zu formen. Wenn man das schafft, dann entsteht etwas Magisches, was jede:r im Raum spürt. Das möchte ich erlebbar machen und weitergeben.
Welche Impulse sind für dich in der Chorarbeit generell und speziell an der Universität zentral?
Viele Studierende verbringen im Studium viel Zeit allein im Übezimmer. Anders als im Orchester, wo nur bestimmte Pulte besetzt sind, bietet der Chor allen eine Chance zur aktiven Mitgestaltung – ein großer Gewinn für die Universität! Im Unichor singen wöchentlich rund 150, im Kammerchor 24 Studierende, hinzu kommen verschiedenste Chorprojekte. Chor hat das Potenzial, identitätsstiftende Gemeinsamkeit und öffentliches Wirken zugleich zu sein. Auch wird dem Berufsbild Rundfunkchorsänger:in zu wenig Beachtung geschenkt. Oft sind Sänger:innen sehr gut solistisch ausgebildet, aber haben zu wenig Literaturkenntnisse und mangelnde Ensemblefähigkeiten in diesem Bereich. Hier kann der Kammerchor einen sehr wichtigen Beitrag leisten. In meinem Musikstudium habe ich vor allem an Konzertreisen mit a cappella Musik und große chorsinfonische Aufführungen die schönsten Erinnerungen. Das würde ich meinen Studierenden hier gern auch ermöglichen. Jörn Andresen (Univ.-Prof- für Chordirigieren an der Universität Mozarteum, Anm.) leistet seit 2019 hervorragende Arbeit mit dem Unichor und Vocalensembles in a cappella, Chorsinfonik, Oratorium sowie Alter Musik. Ich freue mich sehr, mit dem Kammerchor den Chorbereich zu erweitern. Dirigierhandwerk wird erst im Tun hörbar. Deshalb gibt es jetzt auch für ME/IGP (Musikerziehung, Instrumentalmusikerziehung, Anm.) einen Übungschor, in dem Studierende Repertoire – v. a. für Jugendchöre und Schulbereich – selbstständig einstudieren und anleiten.