LAUT:SPRECHER und Erinnerungsorte

15.12.2025
News

2025 bietet zahlreiche Anlässe, um auf 80 Jahre zurückzublicken. Der Zweite Weltkrieg endete in Europa am 8. Mai 1945 mit dem „Tag der Befreiung“, der vollständigen Kapitulation und dem endgültigen Untergang der NS-Diktatur. In den Monaten zuvor waren die Vernichtungslager durch die Truppen der Alliierten befreit worden.

Das Ausmaß einer unvergleichlichen Grausamkeit des totalitären Regimes und seiner mit Kalkül geplanten, maschinellen ‚Vernichtungsindustrie‘ trat zunehmend zu Tage. Nach Schätzungen des Holocaust Memorial Museums wurden 17 Millionen Menschen von den Nationalsozialisten, ihren Mithelfer*innen in den Lagern, im Reichsgebiet und in den okkupierten Ländern ermordet. Das Konzentrationslager Auschwitz symbolisiert bis heute die Massenvernichtung menschlichen Lebens sowie den Holocaust mit der Ermordung von 6 Millionen Jüd*innen. Die Frage, wie es zu diesem Zivilisationsbruch kommen konnte, lässt sich teilweise mit der Rolle und Instrumentalisierung der Musik im nationalsozialistischen Staat beantworten. Musik war Teil der Strategie von Verführung und Gewalt, um über klingende Staatspropaganda ein politisches System zu etablieren und zu konsolidieren. Dadurch, dass Musik als eine der emotionalsten unter den Künsten gelten kann, sollte sie als emotional aufgeladener Kommunikationsfaktor zwischen der Führungsriege und der Bevölkerung wirken. Ziel war es, die Bevölkerung für die NS-Ideologie zu faszinieren und sie darauf einzuschwören. Den auf Größenwahn, Abwertung und Ausgrenzung basierenden Weltbildern sollte geglaubt werden, statt sie kritisch zu hinterfragen. Dahinter steht das Transzendenzpotenzial der Musik, d.h. die Gegenwart oder Realität zu verschleiern oder umdeuten zu können und sie als eine ‚andere‘ Wirklichkeit erscheinen zu lassen. Der Aufbau einer „Volksgemeinschaft“ vollzog sich somit nicht über ein rationales Verstehen, sondern über emotional erfahrbare Vergemeinschaftung, z.B. im Massengesang. Auch wenn 2025 80 Jahre vergangen sind, so hat Musik nichts davon verloren, manipulierend und werbend zu wirken, sobald sie mit dieser Intention eingesetzt wird. Nicht zuletzt durch diesen politischen Gebrauch und die Kaperung von Musik und Kultur sind in den vergangenen Jahren rechtsextreme Strömungen erneut erstarkt.

Um dem etwas entgegenzusetzen, ist die Erinnerung an die Geschichte des 20. Jahrhunderts ein wirkmächtiger Faktor, um die mittlerweile sichtlich verschobenen Grenzen eines friedlichen Miteinanders nicht weiter aufweichen zu lassen, sondern demokratisches Denken und Handeln zu stärken. Um sich dessen immer wieder bewusst zu werden, ist mitunter der Blick auf die gegenwärtige wie historische Gegenseite notwendig, dorthin, wo einst Unmenschlichkeit und Hass die Handlungsgrundlagen bildeten und „die Würde des Menschen“ nicht mehr als „unantastbar“ galt. Solche Orte boten die Konzentrationslager und es erscheint unvorstellbar, dass dort Musik einen Platz hatte. Sogar beide Seiten nutzten sie: Die Wachmannschaften zu ihrer Unterhaltung und als Folterinstrument für die Häftlinge, die Inhaftierten als Überlebensstrategie, Identitätswahrung, Trost und Erinnerungsspeicher. Nach 1945 entstanden zahlreiche Werke, in denen die Ereignisse und Erlebnisse in Musik verarbeitet wurden und permanent erinnerbar sind. Die meisten Opfer unter den Musikschaffenden kamen im KZ Auschwitz ums Leben. Unter ihnen war Viktor Ullmann (* 1898 in Teschen, österreichisch Schlesien), der zwei Tage nach seiner Ankunft im Oktober 1944 vergast wurde. Zuvor hatte er nach seiner Zwangsdeportation ins Ghetto Theresienstadt seine Oper „Der Kaiser von Atlantis oder Die Todverweigerung“ vollendet. Der polnische Komponist Simon Laks (1901-1983) überlebte die Gefangenschaft in Auschwitz und hielt seine Erkenntnisse auf völlig andere Art als Ullmann in der Kammeroper „L’Hirondelle Inattendue“ fest. Das Werk wurde erst 1965 vollendet und konnte in der szenischen Fassung 2014 in Bregenz uraufgeführt werden. 

Ullmanns und Laks‘ Opern verweisen auf historisch dunkle Zeiten und lassen gewisse Verbindungen zur Gegenwart zu, wenn es um Ausgrenzung des und der „Anderen“ und die Abgrenzung und Überhöhung des „Eigenen“ geht. Um diese Dimensionen vielfältig zu beleuchten, entstand an der Universität Mozarteum in der Zusammenarbeit der Departments für Oper und Musiktheater, Gesang, Musikwissenschaft (Arbeitsschwerpunkt „Musik und Macht“, AMUM), Szenografie und Tasteninstrumente das Projekt LAUT:SPRECHER, benannt nach einer Figur im „Kaiser von Atlantis“. Das einwöchige Programm (6.-12.12.2025) richtete sich an eine breite Öffentlichkeit inner- und außerhalb der Universität und vermittelte das Thema über künstlerische und wissenschaftliche Veranstaltungen: vier Aufführungen, ein davon für Schulen, der Opern von Ullmann und Laks durch die Opernklasse (Florentine Klepper/Kai Röhrig), Klavier-Recital mit Ullmann-Sonaten (Eric Chumachenco), Liederabend (Liedklasse Pauliina Tukiainen), einer Aufführung von Ullmanns „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets C. Rilke“ (Gundula Goecke, Reina Arai, Minsun Kim und Haruka Ugaji; Einstudierung: Eung-Gu Kim) sowie Vorträge zum Liedschaffen von Ullmann und Laks (Albrecht Dümling), zu Viktor Ullmanns dystopische Opern "Der Sturz des Antichrist" (1934-1936) und "Der Kaiser von Atlantis" (1943-1944) (Jascha Nemtsov) und grundsätzlich zur Musik im Ghetto und im Konzentrationslager (Yvonne Wasserloos). Frank Harders-Wuthenow stellte in seinem Vortrag die Frage, ob und wie nach Auschwitz überhaupt erneut Opern entstehen konnten. Die Filmdokumentation „Fremde Passagiere“ brachte Einblicke in Ullmanns letzte Lebensjahre auf der Flucht, im Ghetto und im KZ. Zudem fand ein öffentliches, musikwissenschaftliches Seminar zu „Musik und Antisemitismus – Musik im KZ“ (Leitung Yvonne Wasserloos) statt. 

Dass die kontinuierliche Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit der Geschichte der NS-Diktatur der ständige Auftrag für eine friedvolle Gestaltung der Gegenwart bleibt, muss nicht betont werden. Um in einem wissenschaftlich-künstlerischen Format das Gedenken wachzuhalten, finden am 27.1.2026, dem Internationalen Holocaust-Gedenktag in Erinnerung an die Befreiung des KZ Auschwitz, zum dritten Mal die „Erinnerungsorte“ statt. Das 2024 ins Leben gerufene Konzert mit Lesung wird alljährlich von Studierenden und Lehrenden zahlreicher Departments und Institute der Universität Mozarteum gemeinsam gestaltet. Die „Erinnerungsorte III“ erfahren diese Mal eine Erweiterung um das musikwissenschaftliche Symposium am Nachmittag „Musik im Ghetto und im Konzentrationslager“. In Kooperation mit der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz ist es dem AMUM gelungen, Drittmittel aus dem EU-Förderprogramm „Music, Memory and European Values“ für ein internationales Vermittlungsprojekt zur verfemten Musik einzuwerben. Der Auftakt fand bereits am 9.11.2025 in Mainz, am Tag des Reichspogroms statt, das 1938 die bis dahin größte, organisierte Gewaltaktion gegen jüdische Mitbürger*innen bedeutete. Dieses Pogrom beschleunigte nachfolgend politische Entscheidungen, die auf der Basis eines sich zunehmend aufheizenden Antisemitismus getroffen wurden und im Holocaust eskalierten. 

Simon Laks beschrieb als Zeitzeuge ein surreales Leben, das nach willkürlichen Regeln verlief und andere über das eigene Schicksal entschieden: „Auschwitz war eine Art ‚Negativ‘ der Welt, aus der wir entführt wurden. Weiß wurde schwarz, schwarz wurde weiß. Die Werte wurden um 180 Grad gedreht.“ Das Erinnern daran bleibt zeitlos. NS-Verbrechen verjähren nicht.


(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten / Salzburger Nachrichten am 13.12.2025)

Termine