Alte Musik als Resonanzraum der Zukunft

06.10.2025
News

Zyklen, Zeiten, Zukunftsmusik: Im November präsentiert sich die zweite Ausgabe des interdisziplinären ORA – Originalklang-Festival der Universität Mozarteum Salzburg.

Zyklen durchziehen unser Leben: Tag und Nacht, Jahreszeiten, Sternenbahnen, Lebensläufe. Ihre Wiederkehr und Verwandlung – das unaufhörliche „Immer-wieder-und-doch-anders“ – inspirierten Komponist:innen seit Jahrhunderten: Telemann zu seinen Tageszeiten, Vivaldi zu den Jahreszeiten, Stockhausen zu den Tierkreis-Stücken. Mit dem Bild des Zyklus rückt die zweite Ausgabe des ORA – Originalklang-Festivals der Universität Mozarteum Salzburg den Gedanken des Kreislaufs ins Zentrum: von der barocken Kantate über klassisch-romantische Sinfonik bis hin zur zeitgenössischen Uraufführung.

Nach seiner erfolgreichen Premiere im März 2024 lädt das Festival vom 6. bis 8. November 2025 erneut dazu ein, Alte und Neue Musik in intensiven Dialog treten zu lassen. „Wir haben sehr inspirierende Brücken schlagen können zwischen den Instrumenten des Originalklangs, die auf das klassische Instrumentarium trafen – beispielsweise im Rahmen der Kooperation mit der Bläserphilharmonie und einem Auftragswerk von Vladimir Tarnopolski oder der Performance von Terry Rileys ,In C'“, erinnert sich Dorothee Oberlinger. Unter der künstlerischen Leitung von Dorothee Oberlinger, Vittorio Ghielmi, Florian Birsak und Simone Fontanelli gestalten Lehrende und Studierende der Universität Mozarteum gemeinsam mit internationalen Gästen ein Programm, das die Begegnung von Originalklang, Neuer Musik, Improvisation und Raumkonzepten feiert. Die erste Ausgabe im Frühjahr 2024 zeigte bereits, welches Potenzial in diesem neuen Festivalformat steckt. An drei Tagen begegneten sich Alte Musik, zeitgenössische Tonsprache und Improvisation in ungewöhnlichen Konstellationen. Die Konzerte verbanden Bachs Meisterwerke mit Uraufführungen, neue Instrumental- und Vokalmusik mit barocken Originalklängen. Damit etablierte sich ORA gleich mit seiner Premiere als Festival, das Brücken schlägt: zwischen Jahrhunderten, zwischen Klangidealen, zwischen Studierenden und renommierten Gästen. Auch die zweite Ausgabe folgt dieser Idee, betont Oberlinger: „Es geht darum, den Blick zu weiten – wir bieten Studien der Alten Musik an, beschäftigen uns mit Quellen und Spielpraxis der vergangenen Jahrhunderte, und von da aus wollen wir mit dem faszinierenden Klang des Originalklang-Instrumentarium Neues kreieren.“

Die diesjährige Ausgabe nimmt Zyklen in den Blick: die Wiederkehr des Tages, der Jahreszeiten, der Sternbahnen. Den Auftakt bildet am 6. November das Eröffnungskonzert „Die Tageszeiten“ im Großen Saal der Stiftung Mozarteum – zugleich offizieller Beginn des Jahreskongresses der Association Européenne des Conservatoires, Académies de Musique et Musikhochschulen (AEC). Auf dem Programm stehen Antonio Vivaldis Flötenkonzert „La Notte“, Georg Philipp Telemanns Kantate „Der Morgen“, Joseph Haydns Sinfonie „Le Midi“ und Auszüge aus Johann Sebastian Bachs Kantate „Bleib bei uns, denn es will Abend werden“. Ein Höhepunkt ist die Uraufführung eines Auftragswerks: László Tihanyi, „Clausula No. 14 – The Four Seasons“ (Op. 98, 2025). László Tihanyi prägt auch als composer in residence das Festival in diesem Jahr. Der 1956 in Budapest geborene Komponist und Dirigent studierte an der Liszt-Akademie, wo er seit 1979 unterrichtet. Er gründete das Ensemble Intermodulation und arbeitet mit führenden Ensembles für Neue Musik weltweit. Seine Werke – Kammermusik, Orchesterstücke, Opern – sind vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Erkel-Preis und dem Bartók-Pásztory-Award. Mit seinem Auftragswerk lässt er die Jahreszeiten als Spiegel der vier Temperamente erscheinen – Frühling sanguinisch, Sommer cholerisch, Herbst melancholisch, Winter phlegmatisch. Blockflöten und Gamben verbinden sich mit gestimmten Glocken, freie Passagen mit zyklischen Strukturen. Studierende musizieren gemeinsam mit Dorothee Oberlinger, Marcello Gatti und Vittorio Ghielmi.

Auch 7. November entfaltet sich im Carabinierisaal der Residenz ein klingendes Panorama der Jahreszeiten: Werke von Giovanni Antonio Guido, Maki Ishii, Henry Purcell, Antonio Vivaldi, Christopher Simposon, Tōru Takemitsu und Joseph Bodin de Boismortier spannen den Bogen vom Barock bis zur Gegenwart. Alte Musik in historischer Aufführungspraxis begegnet zeitgenössischen Klangsprachen und improvisatorischen Momenten, mit Florian Birsak (Cembalo), Lisandro Abadie (Gesang) und Elisa Citterio (Violine).

Das Festival schließt am 8. November mit einem Wandelkonzert im neuen Gebäude der Universität Mozarteum am Kurgarten (UMAK): „Dieses Jahr spannen wir den Bogen sozusagen über die Welt und treffen im UMAK mit dem ,Tierkreis’ von Stockhausen auf Musiker:innen aus Korea, die historische Instrumente mitbringen“, so Oberlinger. Vier Gruppen – Sirius, Polarstern, Canopus, Arktur – bespielen jeweils drei Räume. Zu hören sind Karl-Heinz Stockhausens Tierkreis-Stücke und Georg Philipp Telemanns Fantasien für Violine, Flöte und Gambe. Schauspieler:innen führen das Publikum durch den Abend, bevor Florian Birsak ab 22:00 Uhr im gedämpften Licht die 24 Präludien und Fugen aus Bachs „Wohltemperiertem Klavier II“ auf Cembalo und Clavichord interpretiert. Sitz- und Liegegelegenheiten schaffen einen Raum für kontemplatives Hören – ein konzentrierter Abschluss im Zeichen der Stille und Sammlung. „Für mich persönlich war es immer schon wichtig, zu vernetzen, Brücken zu bauen,
voneinander zu lernen. Von solchen Konzert- und Festivalkonzepten können Studierende lernen, wie man sich dramaturgisch einbringt und auf dem Freelance-Markt später Authentizität und ein Alleinstellungsmerkmal erreicht“, sagt Oberlinger. „Wir möchten das Festival weiter zu einer festen Größe etablieren. Es ist für uns eine der wichtigen Visitenkarten des Departments für Alte Musik und seiner Aktivitäten!“ 

„Originalklang“ ist im ORA-Festival kein museales Konzept, sondern Ausgangspunkt für Experimente. Alte Instrumente treffen auf Neue Musik, Improvisation auf Uraufführungen, barocke Raumvorstellungen auf zeitgenössische Performance. ORA als lebendiges Forum, als Ort interdisziplinärer Begegnung: Originalklang wird zu Zukunftsmusik.


(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten / Salzburger Nachrichten am 4. Oktober 2025)

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