Die visuelle Gestaltung eines szenischen Raums

03.12.2022
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Mann sitzt vor eingepackten Paletten mit Lebensmitteln | © Judith Buss

Vom Sammeln atmosphärischer Bilder zur Analyse der Charaktere. Von der Konzeption zum Handwerk: Ein Gespräch mit der Bühnenbildnerin Yea Eun Hong zum Prozess der Bühnengestaltung von Benjamin Brittens komischer Oper „Albert Herring“.

„Wer wird den furchtbaren Kampf enträtseln können zwischen dem Guten und dem Bösen in der Seele des Rosenjünglings, den wilden Angriff des Teufels, seine Winkelzüge, seine Versuchungen, die er in dieses schüchterne Herz warf? Welche Bilder, welche Träume erfand der Satan, um diesen Auserwählten zu packen und zu verderben?“ (Guy de Maupassant, Le Rosier de Madame Husson) Das ist der Stoff, mit dem sich Yea Eun Hong, verantwortlich für das Bühnenbild und die Kostümgestaltung in der Produktion von Benjamin Brittens Albert Herring befasst, zu erleben von 7. bis 12. Dezember an der Universität Mozarteum Salzburg.

Ein Blick hinter die Kulissen. Am Beginn steht das Lesen des Librettos, das Anhören eines Stücks und das Sammeln atmosphärischer Bilder. Auch wenn noch nicht klar ist, was damit passieren soll. So dürfen wir uns den Arbeitsbeginn einer Opernproduktion im Bereich Bühnen- und Kostümgestaltung vorstellen. „Ich tauche atmosphärisch in das Stück ein und zwinge mich, einen ersten Entwurf zu zeichnen. Am liebsten mit Bleistift und Aquarellfarben. Manchmal beginne ich mit der Figur-, ein anderes Mal mit der Textanalyse“, so Yea Eun Hong. Bei Albert Herring sind es die oft ungesunden Beziehungen der Figuren zueinander, die besonders interessant sind. „Ich möchte mit dem Bühnenbild die Geschichte so erzählen, dass das Publikum eine eigene Geschichte daraus mitnehmen kann und das persönliche Verhalten in bestehenden Beziehungen reflektiert“, erläutert Hong. Der Entwurf eines Bühnenbildes ist meist ein langer Prozess. Die Hoffnung, dass die ersten Zeichnungen und Skizzen, das erste Konzept eine gute Basis darstellen, zerschlägt sich oft. Aus ihrer Ausbildung hat Hong den wertvollen Rat mitgenommen, keine Angst vor einem völligen Neubeginn des Entwurfs zu entwickeln. Das Ausradieren ist notwendig und Teil des Prozesses. Technisch arbeitet Yea Eun Hong sowohl auf Papier als auch digital: „Ich bin noch auf der Suche nach meinem endgültigen Stil und probiere viele Maltechniken und Methoden aus.“ Sobald die Erstentwürfe fertiggestellt sind, folgen Gespräche mit der Regie bei Albert Herring mit Alexander von Pfeil, mit dem Hong bereits mehrfach zusammengearbeitet hat. Die verschiedenen Ansätze werden gemeinsam diskutiert.

Der Abgabe des Bauprobenplans folgt das Konzeptionsgespräch, bei dem der ausgearbeitete Bühnen- und Kostümbildentwurf dem gesamten Team vorgestellt wird. Nun beginnen die szenischen Proben, bei denen die Konzeptidee durch die szenische und musikalische Arbeit immer mehr Form annimmt. Requisiten werden teils ausprobiert - teils verworfen, gleichzeitig wird von den technischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Bühnenbild gebaut. Es gilt, immer mehr Details zu klären bis alles zusammenwächst. Das sei das Spannende an dieser Arbeit, betont Hong. Mit der ersten Kostümanprobe findet der Übergang von der konzeptionellen Arbeit zur handwerklichen statt. Das Handwerk folgt dabei dem Konzept. „Bei der Auswahl der Kostüme kannte ich die Sängerinnen und Sänger noch nicht. Das war ein bewusster Schritt, um den Fokus auf die Rollen zu legen“, so Hong. Natürlich wird in der Folge an der konkreten Entscheidung für Stoffen und Farben noch gefeilt und auf die Passform Rücksicht genommen. Das geht von der Unterwäsche bis hin zum Sockenmuster einer bestimmten Figur. Die Gestaltung des Bühnenbildes und der Kostüme ist jedenfalls ein Vorgang, der bis kurz vor der Premiere in Bewegung ist. Hong versucht, die Proben stets mitzuverfolgen, um alles genau beobachten zu können. Durch die Regieanweisungen und Reaktionen der Sängerinnen und Sänger entstehen noch viele Eindrücke und Ideen, zum Beispiel um fehlende Requisiten aufzuspüren. Oft seien es Kleinigkeiten wie die Anzahl der Nägel in den Wänden. Eine genaue Beobachtungsgabe, auch abseits der Bühne, gehört folglich zu den Kernkompetenzen der Bühnenbildnerin. Hong nennt es „die Wahrnehmung mit dem gesamten Körper“, also mit allen Sinnen. Das Ziel sei, eine Bühne zu schaffen, die mit Leben gefüllt ist.

Nach zwei bis drei Monaten kann mit dem Probengerüst gearbeitet werden. Für die Umsetzung zeichnen zahlreiche helfende Hände verantwortlich, die dem Publikum meist verborgen bleiben. Die Gewerke umfassen Schlosserei, Tischlerei, Beleuchtungstechnik, Videotechnik, Tontechnik und nicht zuletzt die Elektrotechnik. Da das Team der Universität klein ist, hilft auch die Regieassistenz beim Einkauf von Requisiten und Kostümen oder Stoffen. Die Zusammenarbeit im Team ist daher sehr eng und umfassend - und genau hier findet die Bühnen- und Kostümbildnerin Yea Eun Hong auch ihre Erfüllung: „Ich war nie ganz zufrieden mit meiner Arbeit und hatte immer das Gefühl, Aspekte noch besser oder anders machen zu müssen. Ich wurde also nie fertig. Manchmal beschlichen mich auch bereits Zweifel, den richtigen Beruf gewählt zu haben. In der Teamarbeit finde ich den nötigen Rückhalt, hier füllt sich der Freiraum zwischen meiner Fantasie und meinen handwerklichen Fähigkeiten. Das ist das Schönste an meiner Arbeit!“

Die Herausforderung, der sich Hong in diesem Stück stellen musste, liegt in der Zeitlosigkeit des Stoffs, die mit schlichten, klaren, fast neutralen Bildern erzeugt werden sollte. Sodass sich die Figuren zu jeder Zeit an jedem Ort begegnen könnten, das Spannungsfeld der Oper aber trotzdem drei Stunden lang aufrechterhalten bleibt. Eine weiße, fast brutal helle Kulisse, in der alles gnadenlos zur Schau gestellt wird. Das Bühnenbild übernimmt hier zwei Aufgaben: Für die Sängerinnen und Sänger soll es dazu beitragen, bestmöglich in die Rolle zu finden, in ihr aufzugehen. Beim Publikum soll es Neugierde wecken und die Fantasie mehrere Stunden anregen. Yea Eun Hongs Bühnenbild ist eine fast psychologische Annäherung an das Stück. Die Geschichte liegt offen wie ein Spiegel vor dem Publikum, das subtil eingeladen wird, sich darin wiederzufinden.

Zur Oper:

Guy de Maupassants tragisch-satirische Erzählung war der Plot für Verfilmungen u.a. mit Fernandel und später Bourvil und erfuhr 1947 durch Benjamin Britten und Eric Crozier unter dem Titel Albert Herring eine Adaption für die Opernbühne, wobei der Handlungsort von der Normandie in das fiktive „Loxford“ in East Suffolk verlegt wurde. Im vermeintlichen Gewand einer Komödie erzählt Benjamin Britten die beklemmende Geschichte eines bemutterten Sonderlings in kleinstädtischer Provinz: Der von allen belächelte und hämischem Spott ausgesetzte Außenseiter erhält den finanziell hochdotierten „Tugendpreis“, kommt damit zu Ruhm und Ehren – brennt dann aber mit seinem Preisgeld durch und kehrt heim als alkoholkrankes Wrack.

 

(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten / Salzburger Nachrichten am 3. Dezember 2022)

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