Thomas Reif: Grenzenlos musikalisch

09.10.2021
Interview
Thomas Reif | © Andrej Grilc

Mit 26 Jahren ist er Konzertmeister des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, mit seinem Cuarteto SolTango zugleich auf einer „Misión Tango“. Jetzt tritt der gebürtige Rosenheimer Thomas Reif (30) eine Professur für Violine an der Universität Mozarteum an.

MO: Mit 26 Jahren Konzertmeister des Symphonieorchesters des BR. Wie war das für dich?

Thomas Reif: Konzertmeister wollte ich immer schon werden, insofern habe ich darauf hingearbeitet und es war es natürlich großartig, als es geklappt hat – aber auch intensiv. Wir waren damals gerade auf Tour mit Cuarteto SolTango und mussten ein Konzert um einen Tag verlegen, damit ich die Audition in München spielen konnte. Nach drei Tango-Konzertabenden hatte ich das Hearing – und am nächsten Tag spielten wir dann ein Tango-Konzert im Bayrischen Rundfunk. (lacht) Das war ein lustiger Zufall und natürlich super, aber auch stressig.

 

MO: Wo wir bereits mitten im Thema sind. Du bist in der Klassik zu Hause, überwindest musikalische Genregrenzen dennoch mühelos. Wie gelingt dir das?

Thomas Reif: Spielerisch. (lacht) Tatsächlich hat das in meiner Kindheit begonnen. Ich habe nie nur Klassik gemacht, da ich immer schon Interesse an verschiedenster Musik hatte. Den argentinischen Tango der Goldenen Ära, also den, der vor Astor Piazzolla entstanden ist, kannte ich nicht, als das Cuarteto SolTango 2016 auf mich zukam. Doch Martin Klett (Piano), Karel Bredenhorst (Cello) und Andreas Rokseth (Bandoneon) sind großartige Musiker, deshalb musste ich es versuchen – und bis jetzt macht mir der Tango wahnsinnig Spaß, weil es tolle Musik ist. Aber auch Barockmusik interessiert mich sehr und ich lerne dieses Repertoire Stück für Stück kennen. Jedenfalls bin ich kein Geiger, der nur das eine oder das andere spielt. Ich bin Geiger, und ich mache Musik.

 

MO: Würdest du dir einen liberalen Zugang zu Musik generell wünschen?

Thomas Reif: Naja, auch ich habe mein ganzes Studium traditionell das gemacht, was viele andere auch tun und anstreben. Dass mein Weg funktioniert hat, ist natürlich ein Glück. Besonders alternativ ist er aber nicht, auch wenn ich mit SolTango ein wenige ausreiße. Sich seine Freiheiten zu nehmen, möchte ich meinen Studierenden jedenfalls vermitteln. Man muss während des Studiums nicht jedes Jahr einen Wettbewerb machen, um dann entweder solistisch unterwegs zu sein oder ins Orchester zu gehen. Man kann sich auch anderen Dingen widmen. Es geht im Grunde darum, auch in der klassischen Musikkunst andere, neue Konzepte anzudenken, durchaus auch fächerübergreifend und interdisziplinär. Dieses „Aufbrechen“ beginnt aber schon dort, wo es auch ein Wettbewerb zulässt, etwas anderes als Bach zu spielen, oder wo die Zwischenprüfung etwas anderes erlaubt, oder wo der Professor eben nicht darauf besteht, nur Bach zu spielen. Tango ist dafür ein gutes Beispiel.

 

MO: Was hast du dir für deine eigene Professur vorgenommen?

Thomas Reif: Natürlich will ich ein guter Lehrer sein – mit allem, was dazugehört. Die Studierenden kennenlernen und eine gute Beziehung zu ihnen aufbauen, sodass ich sie bestmöglich dabei unterstützen kann, ihre persönlichen Ziele zu erreichen, Schwächen zu erkennen und daran zu arbeiten. Wenn jemand in ein Orchester will, ist die ideale Vorbereitung auf Auditions das Ziel. Will jemand neues Repertoire erarbeiten und solistisch bleiben oder einfach freischaffend und kreativ sein, finde ich das auch spannend. Mein Weg ist sicher nicht der einzig richtige und mögliche. Wichtig ist es, bei sich selbst zu bleiben und die Dinge zu tun, die einem Freude machen.

 

MO: Du kamst mit 12 Jahren ans Pre-College der Universität Mozarteum, hast hier bei Bruno Steinschaden und Harald Herzl studiert, bevor du für deinen Bachelor nach Hamburg und für den Master dann nach Berlin gegangen bist. Wie ist es für dich, hierher zurückzukehren?

Thomas Reif: Das Gebäude und auch den Raum von Harald Herzl zum ersten Mal zu betreten, um selbst hier zu unterrichten, war schon ein etwas Besonderes und ein intensives Déjà-vu – es riecht hier sogar noch wie damals. Das Mozarteum ist für mich jedenfalls nicht irgendeine Universität. Ich bin sieben Jahre hierhergependelt, habe ein Jahr hier gelebt, mein erstes Solokonzert mit Orchester hier gespielt, ich kenne die Portiere teilweise noch aus meinem Studium, wurde mit dem „Sir Ian Stoutzker Prize“ ausgezeichnet. Das war schon eine sehr prägende Zeit.

 

MO: Apropos Preis – wie hast du deine musikalische Karriere selbst empfunden? Gab es besondere Höhepunkte oder umgekehrt, hattest du auch Krisen?

Thomas Reif: Ja und ja. Aufregend war es jedenfalls immer. Und es kamen nach und nach neue Dinge dazu, wie jetzt diese Professur. Im Zusammenhang mit Wettbewerben war der Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel definitiv ein Highlight. Gemeinsam mit 11 anderen zog ich damals ins Finale ein, worauf wir uns acht Tage lang in einer „Chapelle“ ohne Kontakt zur Außenwelt, ohne Handy und ohne Computer vorbereiteten. Das war eine Erfahrung, die war einmalig. Auch für die Zeit danach war dieser Wettbewerb sehr wichtig, da ich mich dort international gut vernetzen konnte.

Gleichzeitig habe ich damals aber auch den Bachelor abgeschlossen und den Master in Berlin begonnen – und das war dann eine Zeit der Sinn- und Spielkrisen, weil ich mich dort wie ein Waschlappen fühlte, der noch einmal so richtig durchgewrungen wird. Ich war nur noch am Üben und hatte gleichzeitig das Gefühl, nicht mehr spielen zu können. Um von hier nach dort zu kommen, muss man durch dieses Tal. Man muss alles aufbrechen und analysieren und es wird erst einmal schlechter, während sich das Gehör zugleich sensibilisiert. Das ist furchtbar anstrengend, aber enorm wichtig, weil es sich lohnt. Das habe ich im Master gelernt – und davon zehre ich heute noch.

 

MO: Was wünschst du dir für die Zukunft der klassischen Musik, auch für deine eigenen Konzerte?

Thomas Reif: Es sollte in der Klassik erst einmal darum gehen, konservative Schubladen und Etiketten aufzubrechen. Wenn das Publikum zum Beispiel zwischen den Sätzen klatscht, dann freue ich mich – weil das die ehrlichste und schnellste Reaktion ist, die man mir entgegenbringen kann. Historisch gesehen wurde das auch immer so gemacht. Menschen, die im Konzert sitzen und „pst-en“, erklären die letzten 100 Jahre zur einen Wahrheit. In der Zeit davor war die Stimmung auf klassischen Konzerten aber ähnlich wie heute bei einem Jazz-Konzert. Jedenfalls sind das Regeln, die meine Freunde scheuen – sie fühlen sich den ganzen Abend lang unwohl, obwohl sie die Musik eigentlich schön finden. Darf man fotografieren? Darf man aufstehen und sich bewegen? Darf man klatschen, wenn man den Impuls verspürt? Ich würde behaupten, dass viele junge Menschen klassische Konzerte nur deshalb langweilig finden, weil sie der Rahmen abschreckt, in dem sie stattfinden. Ich denke, dass wir in diesen Dingen lockerer werden müssen. Den Inhalt der Musik muss man dafür nicht ändern, denn der ist gut.

 

Cuarteto SolTango
Misión Tango
CAvi, April 2021

 

Der Text ist ursprünglich in den Uni-Nachrichten vom 2. Oktober 2021 der Salzburger Nachrichten erschienen.

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