Die Mystical Reality der Rosamund Gilmore

11.12.2021
Interview
Rosamund Gilmore

Am 15. Dezember wird die Operette „Orpheus in der Unterwelt“ an der Universität Mozarteum aufgezeichnet. Ein Gespräch mit der renommierten Regisseurin Rosamund Gilmore über Jaques Offenbach, ihre erste Produktion am Haus und ihren ganz eigenen „Stil“.

MO: 1858 schrieb Jaques Offenbach an seinen Librettisten Ludovic Halévy, die Idee, den Olymp unserer eigenen Erde gleichzumachen, habe ihn schon immer fasziniert. Sie auch?

Rosamund Gilmore: Offenbach hat diese Idee jedenfalls sehr liebevoll und mit großer Menschenkenntnis umgesetzt! Da die Götter ohnehin eine Erfindung des Menschen sind, erscheint es natürlich naheliegend, dass sie sehr menschliche Züge haben. Der Kontrast zwischen Arroganz, Perfektion, Status und dessen, was sich gleichzeitig oft hinter den Kulissen in den Familien abspielt, bildet einen reizvollen Stoff. Und darum geht es in diesem Stück, in dem sich die Menschen und ihre Götter vermischen. Insofern fasziniert auch mich diese Idee, ja. (lacht)

MO: „Orpheus in der Unterwelt“ ist Ihre erste Opernproduktion an der Universität Mozarteum. Wie haben Sie das Stück angelegt?

Gilmore: Die Götter sind fast vom Anfang bis zum Schluss mitten im Geschehen, auch wenn sie in einer Szene gerade keine Rolle spielen – sie beobachten und kommentieren. Der Raum ist sehr offen angelegt, man sieht das Orchester und die Götter sitzen im Publikum. D.h. die Bühne haben wir als Bild genutzt – übrigens toll gemacht von Jiale Zhu – aber nur, um Situationen und Spielorte zu zeigen. Die Götterwelt ist dabei weiß und sauber und himmelsgleich. Der Hades hingegen zeigt sich bunt, verrückt, fantastisch. Sobald die Götter in die Unterwelt hinabsteigen, finden sie natürlich Gefallen daran, denn in Wirklichkeit langweilen sich im Himmel zu Tode. Und hierin liegt auch die Offenbach‘sche Persiflage. Generell wirkt alles sehr witzig und zweideutig, was vermutlich ein Zeichen der Zeit ist, in der Offenbach geschrieben hat. Sexualität kommt nicht wirklich explizit zum Ausdruck, doch bestimmte Wörter und Ausdrücke werden so speziell platziert, dass man genau weiß, wovon die Rede ist.

MO: Wie würden Sie Ihre Arbeit oder Ihren Stil beschreiben?

Gilmore: Generell gibt es eigentlich nur zwei Wege für Regisseur*innen: realistisch und vermeintlich naturalistisch zu inszenieren, was oft bedeutet, dass die Figuren einfach in ein „realistisches“ Umfeld gesetzt werden, das vom Publikum erkannt wird. Dann gibt es einen Regiestil, der sehr konzeptionell arbeitet und die Handlung gerne auf den Kopf stellt, um mit der Psychologie der Charaktere zu spielen. Er wird meist von Theaterregisseur*innen angewendet und nennt sich Regietheater. Ja und dann gibt es noch mich. (lacht)

Natürlich habe auch ich einen Stil, aber ich bin kein Bob Wilson, der „Bob Wilson“ auf alles setzt, auch wenn er wunderschöne, tolle Sachen macht und das keinesfalls bedeutet, dass jedes Stück gleich ist –sein Stil jedoch ist immer derselbe. Im Gegensatz dazu projiziere ich meinen Stil nicht auf ein Stück. Ich nutze ihn vielmehr auf meinem Weg – selbstverständlich gekoppelt an jenes Weltbild, das ich eben habe. Jedenfalls liegt es mir sehr, eine vorgegebene Geschichte zu erzählen, die von den Menschen, die im Zuschauerraum sitzen, einerseits verstanden wird, sie aber gleichzeitig mit sich selbst konfrontiert und reflektieren lässt. So gesehen nehme ich ein bisschen was von allem und nenne das „Mystical Reality“. Es gibt immer einen Realismus in meinen Inszenierungen und auch die Menschen sind klar erkennbar, man erkennt ihre Emotion. Trotzdem steht dieser Realismus meist an der Kippe und mutet ein wenig schief an. Die Realität auf der Bühne muss dabei zur Psychologie der Figuren passen. So ungefähr. (lacht) Jedenfalls habe ich 14 Jahre lang als Tanztheaterautorin gearbeitet. Ich kenne Gilmore – und widme mich deshalb lieber anderen. Ich möchte Wagner kennenlernen oder Mozart und versuchen, deren Welten zu erkunden und bei ihnen zu bleiben, auch wenn sie durch mich gefiltert sind. Es bleiben ihre Werke.

MO: Sie absolvierten eine Ausbildung in klassischem Ballett und gründeten 1979 gemeinsam mit dem Komponisten Franz Hummel die „Laokoon Dance Group“, die Sie mit Stücken wie „Egmont-Trilogie“, „H-Moll-Messe“ oder „Blaubart“ etablierten. Wann haben Sie begonnen, sich für die Oper zu interessieren?

Gilmore: Grundsätzlich bin ich über bekannte zeitgenössische Komponist*innen zur Oper gekommen, die mich immer wieder gebeten haben, für sie zu inszenieren. So führte eins zum anderen und plötzlich waren es auch klassische Opern. Jedenfalls will ich – egal ob im Tanz oder in der Oper – immer Menschen in meinen Bildern, die ihren ganzen Körper nutzen. Wie geht es einem Menschen, der um eine verlorene Liebe trauert? Wie steht er, wie geht er, wie sitzt er? Wie ist sein Ausdruck … Ich denke, dass das essenziell ist. Weil das Publikum Authentizität sofort spürt und sie lesen kann. Auch in meiner von Pina Bausch inspirierten choreografischen Laufbahn ging es stets darum, wie weit man den Tanz runterschrauben kann, um die Emotion in der Tänzer*in zum Ausdruck bringen. Tanz war für mich nie dekorativ oder athletisch, obwohl er zugleich immer athletisch ist, weil Tänzer*innen unglaublich anstrengende Dinge machen müssen. Dasselbe Prinzip mit Opernsänger*innen weiterzuentwickeln, fand ich ungemein reizvoll. Und diese Herangehensweise hat den Sänger*innen oft auch sehr geholfen.

MO: Sie gelten als eine der profiliertesten Regisseurinnen für das klassische Opernrepertoire, insbesondere auch für zeitgenössisches Musiktheater. Was unterscheidet die Arbeit an einer Universität von der an Repertoirehäusern? Oder anders: Was macht die Zusammenarbeit mit Studierenden reizvoll?

Gilmore: Die Disziplin und Konzentration bei den Studierenden ist fantastisch, der Enthusiasmus hoch. Sie sind spielfreudig, sehr offen für meine Arbeit und kommen nicht mit Vorbildern, wie sie sein wollen. Offenbach trägt natürlich zur tollen Atmosphäre bei, die wir in diesem Semester hatten. Es handelt sich um eine Operette, ein freudiges Stück mit freudigen Stimmen. Jedenfalls bin ich begeistert von der Klasse – sie erreichen Profiniveau, keine Frage! Und dankbar, dass sie den Lernprozess, wie eine professionelle Opernproduktion von A-Z abläuft, trotz Corona durchmachen konnten. Ja und die Zusammenarbeit mit Kai Röhrig erlebe ich auch als großartig. Er arbeitet wirklich für die Studierenden.

Man darf einfach nicht vergessen, dass die Sänger*innen in einem Repertoirehaus oft unter enormem Druck stehen, weil sie in einer Spielzeit manchmal bis zu sechs Rollen lernen müssen. Regieproben werden oft auf Sparflamme durchgeführt, was ich voll und ganz verstehe. Es ist toll, mit fantastischen Sänger*innen zu arbeiten, die ihre Rollen in und auswendig kennen, die sich spezialisiert haben – weil man in ihnen echte Partner*innen findet, und das genieße ich. Trotzdem genieße ich es, etwas mehr Spielraum zu haben. Und ich brauche es, gebraucht zu werden. Mit Studierenden gemeinsam ein Werk zu entdecken, ist etwas Wundervolles.

(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten / Salzburger Nachrichten am 11. Dezember 2021)

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