Walter Auer - Soloflötist

01.12.2021
Alumni Story
Walter Auer | © Daniela Beranek

Walter Auer ist Soloflötist der Wiener Staatsoper und Wiener Philharmoniker. Als gefragter Solist und Kammermusiker ist er international präsent und unterrichtet als Professor für Flöte an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien.

Walter Auer:
Soloflötist

Wien

 

Was ist das Schöne an der Arbeit mit jungen Menschen, am Unterrichten?

Alles (lacht). Es ist eine wunderschöne Aufgabe, junge Menschen in einer wichtigen Lebensphase zu begleiten, ihnen möglichst viel Input zu geben und Fähigkeiten weiter zu entwickeln. Es kommt unglaublich viel Persönliches und Musikalisches zurück. Man entwickelt sich dabei selbst weiter, was wichtig ist. Es geht darum, das eigene Fach voran zu bringen und nicht bei den Dingen zu verharren, die man selbst irgendwann vorgesetzt bekam. Ich mache das wahnsinnig gerne und das ist wohl auch eine Grundvoraussetzung. Zusammenfassend sehe ich die instrumentaltechnische und v.a. musikalische Prägung von jungen Menschen sowie deren Begeisterung zu unterstützen und zu fördern, als meine Hauptaufgabe.

Sie sagten, man lernt selbst viel dabei. Beobachten Sie eine Veränderung der jungen Menschen heute im Vergleich zu Ihrer Studienzeit?

Lustigerweise sprach ich erst kürzlich mit einer Studentin über dieses Thema. Wenn ich so darüber nachdenke, wie meine Studienzeit war, … (lacht). Wir waren sicherlich nicht immer einfach und manches hätte ich vielleicht anders machen sollen. Ich habe in Salzburg bei Michael Kofler studiert und er war nicht viel älter als ich. Ich vermisse bei den Jungen die Widersprüchlichkeit, das kritische Hinterfragen. Manchmal wünsche ich mir tatsächlich mehr konstruktiven Widerspruch. Das Starten eines Diskurses.

Die Schüler sind heute braver?

Ja, ich finde schon. Sie kommen braver aus der Schule. Aber die Begeisterung ist vorhanden. Es geht darum, ehrlich zu sich selbst zu sein. Wie viele Stunden kann ich investieren, wie viel kann ich üben, was bringt mich weiter? Das ist unverändert geblieben.

War es für Sie von Beginn an klar, wohin es beruflich gehen soll?

Glücklicherweise schon, ja. Ich ging in die Musikschule Villach, ebenso wie mein späterer Professor Michael Kofler. Er allerdings ein paar Jahre vor mir. Er zeigte mir diesen Weg quasi auf und war bereits damals mein Vorbild. Er studierte in Wien und wurde sehr jung in München Soloflötist. Soweit ich mich erinnere, war es bereits mit 15 oder 16 Jahren mein Wunsch, in einem Orchester zu spielen. Dass es dann genau diese Stelle wurde, konnte ich weder voraussehen noch planen. Es war mir durchaus bewusst, dass es schwierig werden würde, wobei ich damals schon parallel IGP (Anm.: pädagogische Ausbildung) studierte. Es war kein Plan „B“, beides interessierte mich. Ein Werdegang wird allerdings auch von Glück bestimmt. Es muss zur richtigen Zeit die richtige Stelle frei sein. Aber was ist Glück? Ich las unlängst die Definition eines Profigolfers, der meinte, je mehr er trainiere, desto mehr Glück hätte er. Diesen Gedankengang fand ich sehr schön.

Probespiele bei Orchestern sind wichtige Karriereschritte, oder?

Ich hatte noch während des Studiums das Glück, an die Karajan Akademie der Berliner Philharmoniker zu kommen. Am Vortag flog ich beim Vorspiel an der Münchner Orchesterakademie in der ersten Runde raus. Am nächsten Tag gewann ich in Berlin das Vorspiel. Das ist die Realität. Ein Werdegang muss nicht linear verlaufen. Wichtig ist es, auch aus negativen Erfahrungen etwas mitzunehmen. Wenn man gar nicht erst hingeht, bringt man sich von vornherein um eine Chance. Die zwei Jahre in Berlin unter Claudio Abbado waren ein Paradies für mich. Ich kam als staunendes Kind vom Lande. Es waren tolle Eindrücke, die ich dort gewinnen konnte. Lernen von den Besten - was will man mehr? Ich durfte in jungen Jahren beispielsweise unter Kurt Masur und James Levine spielen.
Der Weg ist im Grunde ganz einfach: Man schlägt das „Orchester“-Heft auf - damals noch nicht digital - und schaut wo es eine Stelle gibt. Dann bewirbt man sich. Im Lebenslauf macht es sich natürlich gut, wenn man schon ein paar Orchesterstationen vorweisen kann. Der schwierigste Punkt für Studierende ist eingeladen zu werden und sich zu präsentieren. Es gibt heute vermehrt Vorprobespiele, mit denen der Kreis der Eingeladenen vergrößert wird, trotzdem ist das die erste große Hürde.
Meine nächste Station war die Neue Philharmonie Westfalen, ich gewann das Probespiel und so ging es weiter. Ich suchte mir ein neues Ziel und dies war Kassel. Nach nicht bestandenem Probejahr zog es mich weiter zum Probespiel der Dresdner Philharmonie, das ich wiederum gewann. Man sucht sich quasi immer die nächst bessere Stelle. Nach Dresden folgten zwei Jahre bei der NDR Rundfunkphilharmonie Hannover. Ich war sehr glücklich in diesem Orchester. Irgendwann traf ich Olivier Tardy, meinen Kollegen aus der Berliner Zeit, und er machte mich auf die Stelle in Wien aufmerksam. In allen Orchestern traf ich hervorragende Musiker*innen und daher bin ich sehr froh über diese Stationen und Erfahrungen.

Viele Orchester haben mittlerweile eigene „Nachwuchs-Akademien“.

Karajan hatte diesen Weitblick bereits vor 50 Jahren. Die Akademien der Orchester müssen für die Studierenden in erster Linie tolle Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Studierende müssen lernen und spielen können. Es braucht gute Bezahlung, um in der Stadt leben zu können und die Studierenden müssen sich musikalisch weiter entwickeln können. Das Gesamtpaket ist entscheidend.

Was ist aus Ihrer Sicht zu Beginn einer Berufskarriere besonders wichtig?

Das Ergreifen der gebotenen Chancen. So viel wie möglich investieren und sich nicht selbst limitieren, indem man schon zu früh festlegt, was man nicht will. Man muss sich bewusst sein, dass wir sehr viele gute Flötist*innen haben, aber im Verhältnis nur wenige Stellen. Davon sind wiederum nur wenige Topstellen. Wenn man nicht zum Vorspiel geht, bringt man sich selbst um die Chance.
Ich habe noch in Salzburg studiert, als ich zum Probespiel des Bayerischen Rundfunks eingeladen wurde. Es ging um eine Piccolo-Stelle, die nicht zu meinen Favoriten gehörte. Als ich ankam, spielte eine Mitkandidatin ein Vivaldi-Konzert. Ich hörte es durch die Türe und es war so schön, dass ich nicht antrat und wieder heimgefahren bin. Ich dachte, dass ich das so nicht könnte. Heute weiß ich, dass jeder durch die Türe fantastisch klingt und die eigene Wahrnehmung täuschen kann. Durch das Nichtantreten hatte ich aber gar keine Chance. Es nicht zu versuchen, ist also keine Option. Das betrifft Wettbewerbe oder Aufnahmeprüfungen genauso.

Sie selbst haben an einigen Wettbewerben erfolgreich teilgenommen. Welche Bedeutung haben Wettbewerbe für Künstler*innen?

Wettbewerbe sind per se fantastisch, da gute Wettbewerbe Möglichkeiten und Chancen bieten. In der Regel sind viele Konzerte und Auftrittsmöglichkeiten damit verbunden. Mit der Verlagerung der Wettbewerbe in den Onlinebereich kann ich weniger anfangen. Ich möchte Künstler*innen und ihren Klang live hören. Das Beste an Wettbewerben ist, dass man sich ein neues Repertoire erarbeitet. Es gibt ein Ziel, man muss sich vorbereiten und ein bestimmtes Repertoire lernen. Der Weg zum Wettbewerb ist dabei vielleicht sinnvoller als der Wettbewerb selbst.

Welchen Wandel hat die Digitalisierung aus Ihrer Sicht mit sich gebracht? Und welche Bedeutung haben CD- und Rundfunkaufnahmen für klassische Künstler*innen heute?

Große Karrieren von Sänger*innen und Instrumentalsolist*innen sind nach wie vor an Tonträger gekoppelt. Ob diese in Zukunft in physischer Form vorliegen müssen, ist die große Frage. Aufnahmen werden nach wie vor produziert, aber eher um sie für den Download bereit zu stellen. Und es gibt ja auch wieder einen Trend zur Schallplatte für gewisse Aspekte und für die Aficionados, die noch eine tolle Anlage zuhause haben und diese besonderen Klangwelten wieder aufleben lassen wollen. Und dann gibt auch es auch noch Länder wie Japan, in denen der physische Markt sehr wichtig ist.
Im täglichen Gebrauch hat sich schon viel verändert. Wir haben keine Laufwerke mehr auf unseren Computern, meine Student*innen können mit CDs nur wenig anfangen. Die Industrie gibt hier einiges vor. Zusätzlich haben wir alle, was die Technisierung begrifft, einiges durch Corona dazugelernt. Wir können ein Zoom-Meeting fehlerfrei abhalten, Kamera, Ton und Licht bedienen sowie unsere Studierenden online unterrichten. Sogar während einer Tournee in Japan, das wäre früher nicht möglich gewesen. Die Flexibilität hat zugenommen, auch wenn alles seine Grenzen hat.

Sie spielen auch Kammermusik. Was ist Ihnen dabei wichtig?

Das Kammermusikrepertoire für Flöte ist wunderschön. Wir sind zwar keine Geiger*innen und keine Pianist*innen dennoch haben wir schönes Repertoire in unterschiedlichsten Besetzungen. Das muss man pflegen. Während meiner Studienzeit spielte ich in einem tollen Holzbläserquintett. Wir gewannen den Preis des deutschen Musikrates, den zweiten Platz im ARD-Wettbewerb und haben einige Saisonen sehr viel zusammengespielt. Heute sind wir in unterschiedlichen Orchestern tätig, aber vielleicht lassen wir unser Quintett in der Pension wiederaufleben! Ich spiele sehr gerne Kammermusik und „wildere“ auch im Violin-Repertoire.
Ich habe eine sehr gute Agentur in Japan, da der japanische Markt für uns Flötist*innen ein sehr wichtiger ist. Pro Jahr spiele ich mindestens zwei Tourneen in Japan in unterschiedlicher Besetzung. In Wien spiele ich gemeinsam mit meiner Frau. Das Schöne an meiner Stelle ist, dass ich aus dem Vollen der musikalischen Möglichkeiten schöpfen kann. Ich habe das tollste Opern- und Sinfonierepertoire und kann mich auch kammermusikalisch austoben. Diese Erfahrungen fließen in der Folge in den Unterricht ein. Es ist für mich essentiell, aktiv Musik zu leben, um zu sehen, wo die musikalischen Trends hingehen. Wir hatten gerade Don Giovanni Premiere in Wien und im Sommer stellte Currentzis Don Giovanni in Salzburg völlig auf den Kopf. Deutlicher können die Unterschiede nicht sein. Natürlich stellt sich die Frage: Wie ist meine Sicht auf Mozart? Was unterrichte ich, wohin geht der Geist? Was ist meine Meinung und ist diese wissenschaftlich fundiert?

Sie haben im Sommer am „Mozart 100 trail run“ in Salzburg teilgenommen und laufen Marathon. Welche Bedeutung hat Sport für Sie?

Ich war als Kind sehr sportlich, habe dann aber zu viel geraucht. Dem setzte ich von heute auf morgen ein Ende. Heute ist Sport ein wichtiger Ausgleich für mich. Sport macht mich leistungsfähiger und belastbarer. Ich laufe auch den Wiener City Marathon und mache einige Läufe mit Freunden. Im Sommer fahre ich Rennrad und mein Familien-Hobby ist das Reiten. Meine Frau und ich haben drei Kinder und wir reiten alle fünf. Es geht um das Naturerlebnis und trotzdem muss man viel lernen und an sich arbeiten. Vieles davon kann ich in das Flötenspiel einbauen. Aspekte des Reitens, wie die Körperwahrnehmung und -etspannung kann ich eins zu eins in das Musizieren übertragen.

Obwohl Sie in Wien leben, führt Sie der Beruf oft nach Salzburg. Gibt es eine besonders schöne Erinnerung an Ihre Studienzeit in Salzburg?

Ich erinnere mich gern an besondere Örtlichkeiten: mein Unterricht fand zum Beispiel oberhalb des Marionettentheaters statt, dieser Ort hatte fast etwas Verwunschenes an sich. Gewohnt habe ich in der Wolf-Dietrich-Straße und der Sebastiansfriedhof mit der Linzer Gasse sind wunderschöne Plätze, an die ich auch heute immer wieder zurückkehre. Für mich ist das eine Referenz an Leopold Mozart, auf dessen Grab ich von dem Balkon meiner WG blicken konnte.

Gibt es noch etwas, das Sie uns mitgeben wollen?

Ich bewundere und bestärke jede und jeden, der Musik studieren will und Musik und Kunst zu seinem*ihrem Lebensinnhalt macht. Die Kunst in einer immer technischeren und wirtschaftlicheren Welt ist enorm wertvoll. Wir sind für den Nachwuchs da und ich sehe mich tatsächlich als „Serviceeinheit“. Ich möchte die jungen Künstler*innen darin bestärken, ihr Studium abzuschließen und weiter zu machen.

walterauer.at

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