Böse Operette

17.03.2024
News
Lehár Theater Bad Ischl | © Daniel Leitner / www.badischl.at

Das Bad Ischler Lehár Theater wird im Rahmen der Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024 in Kooperation mit der Universität Mozarteum und dem Lehár Festival zum Austragungsort eines Short Operetta Festivals, das die von den Nationalsozialisten verdammte Operette wiederbeleben möchte. Der Anspruch: kurz, aktuell, kritisch.

Short Operetta Festival
2.7.2024 um 19.30 Uhr
3.7.2024 um 15.00 Uhr & 19.30 Uhr
Lehár Theater Bad Ischl

salzkammergut-2024.at

„Die Region hat eine große Theatergeschichte, in der Gegend ist auch viel Literatur entstanden. Für dieses Potenzial, diese Tradition, die in den letzten Jahren etwas vernachlässigt wurde, wollen wir Starthilfe geben: Wie kann man es schaffen, Theater in eine Region (zurück) zu bringen?“ Diese Frage steht für Alexander Charim, Regisseur, Künstler, Kurator und Projektleiter bei der Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut, im Zentrum des vielfältigen Programms, das die Region, ihre Bewohner:innen und Besucher:innen und das Kulturprogramm 2024 maßgeblich prägen wird. Neben unzähligen Programmpunkten aus allen Sparten steht mit Anfang Juli ein Short Operetta Festival auf dem Programm im geschichtsträchtigen Lehár Theater in Bad Ischl. In einem Wettbewerb wurden drei 20-minütige Kurzoperetten zeitgenössischer Komponist:innen und Librettist:innen ausgewählt, die im Rahmen des Short Operetta Festivals uraufgeführt werden: zeitgenössische Operetten von aufstrebenden Künstler:innenteams, inszeniert von Studierenden der Universität Mozarteum aus den Bereichen Schauspiel, Regie, Szenografie, Gesang und Orchester sowie dem französischen Ensemble Multilatérale, das im Rahmen von ARCO, der französisch-österreichischen Akademie für zeitgenössische Komposition der Universität Mozarteum und der GMEM Marseille, 2024 wieder in Salzburg zu Gast sein wird.

Nichts weniger als die Wiederbelebung eines Formats, das Anknüpfen an „abgestorbene Traditionslinien“ ist das Ziel des Short Operetta Festivals, unter der Leitung von Alexander Charim und Angela Schweiger ab März aufgebaut und ausgearbeitet wird. Die „böse“ Operette wurde als Genre vom Nationalsozialismus völlig zerstört, einerseits wegen des angeblich skandalösen Einflusses der Musik, andererseits wegen der überwiegend jüdischen Autor:innen. Nicht nur private Theater wurden zu dieser Zeit vernichtet, auch die für die Operette typische, spezielle Art von Humor und der überaus kritische Umgang mit Zeitgeschichte. Was heute fast ausschließlich als Kitsch und Nostalgie wahrgenommen wird, war einst eine hochpolitische Form des Theaters. Als eine Erweiterung des Lehár Festivals, das hauptsächlich über 100 Jahre alte Operetten präsentiert, hat das Short Operetta Festival einen zeitgenössischen Anspruch. „Die moderne, zeitgenössische Operette existiert heute in dieser Form fast nicht mehr. Die Kulturhauptstadt und das Short Operetta Festival sind eine großartige Gelegenheit, um Potenziale auszuschöpfen, um Vergangenes wieder hervorzuholen und das Format sprechen zu lassen.“ Der Wettbewerb richtet sich an Teams aus Komponist:innen und Librettist:innen bis 35 Jahre, die Jury des Wettbewerbs, bestehend aus Elisabeth Gutjahr und Christoph Lepschy (Universität Mozarteum), Magdalena Hoisbauer (Dramaturgin Volksoper Wien), Thomas Enzinger und Angela Schweiger (Lehár Festival Bad Ischl) und Alexander Charim (Kulturhauptstadt Bad Ischl 2024), wählte aus den zahlreichen Einreichungen drei Konzepte aus. Alexander Charim: „Die Teilnahme von jungen Künstler:innen mit heutigen Positionen, das, was wir mit den Short Operettas machen wollen, gibt es in der Region sehr wenig. Dabei war Bad Ischl in den 20er- und 30er-Jahren ein totaler Operetten-Hotspot! Die gesamte Wiener Operettenszene verbrachte hier ihre Sommerfrische und belebte den Ort. In einem satirischen Zeitungsartikel aus dieser Zeit habe ich den Satz gefunden: Hier sitzen an jeder Ecke drei Librettisten.“ Das Ausloten der inhaltlichen Bandbreite aktueller Themen einerseits und das Finden von modernen Herangehensweisen an das Genre andererseits rücken das kritische und subversive Potenzial der Operette in ihrer „Heimatstadt“ auf spannende Art und Weise wieder ins Licht – wenn auch die Themen nicht überraschen, die Werke befassen sich mit der unmittelbaren Gegenwart, dem Klimawandel, Kapitalismus, mit Rechtsextremismus und mit rechten gesellschaftlichen Tendenzen.

Entlang der Programmlinien der Kulturhauptstadt, „Globalokal – Building The New“, „Kultur im Fluss“ und „Sharing Salzkammergut – Die Kunst des Reisens“, zeigen die Konzepte aber auch Möglichkeiten und andere Perspektiven zur aktiven Gestaltung einer möglichen Zukunft auf: „Die schrumpfende Stadt“ von Lea Willeke (Libretto) und Tanja Elisa Glinsner (Komposition) etwa ist eine Parabel auf den Klimawandel und setzt sich humorvoll mit der dystopischen Fabel einer schrumpfenden Stadt aufgrund einer klimatischen Veränderung auseinander. Fernando Strasnoy (Komposition) und Giuliana Kiersz (Libretto) beschäftigen sich in „L’écosystème humain?“ mit der Sprache rechter Politiker:innen – ein absolut archetypisches Thema der Operette – und arbeiten nicht mit einer konkreten Handlung, sondern experimentieren mit Textbausteinen. „The Bat Bomb“ von Alexander R. Schweiß (Komposition) und Lena Reißner (Libretto) ist ein Gedankenexperiment zu einem absurden Vorschlag eines Wissenschaftlers an den amerikanischen Präsidenten während des Zweiten Weltkriegs: Fledermäuse mit Brandbomben zu bestücken und damit in japanischen Städten Angst und Schrecken zu verbreiten. Die Operette spielt das „Was-wäre-wenn“ durch, wäre das Experiment tatsächlich durchgeführt worden. „In den 20er- und 30er-Jahren war die Operette etwas, mit dem Lebensentwürfe auf die Probe gestellt, neue Aspekte ausprobiert wurden – gerade im Bereich der weiblichen Emanzipation oder Selbstbestimmung. Uns ist wichtig, dass alles mit Humor passiert und Gegensätze aufgebrochen werden, zwischen dem Ernsten und dem Unterhaltsamen, zwischen der politischen Botschaft und der leichten Kost. Das müssen keine Gegensätze sein. Vielleicht kann die Operette heute wieder Publikum gewinnen, das sich nicht nur unterhalten will, sondern auch angeregt sein möchte, zur Diskussion und Auseinandersetzung.“ Für Alexander Charim holt dies auch die Frage nach dem Unterhaltungstheater der zukünftigen Generation in den Vordergrund, welche Art von Theater für die „Generation Netflix“ funktioniert und ob bzw. welche neuen Möglichkeiten Theater hier bieten kann. Die Auferstehung der „Bösen Operette“ als kritische und komische Auseinandersetzung mit unserer Gesellschaft könnte dabei jedenfalls eine neu belebte, starke Rolle spielen.

Die Zusammenarbeit im Erarbeitungsprozess der Short Operettas, der im März an der Universität Mozarteum in Salzburg startet, wird sich vom „Normalbetrieb“ abheben und in einer Art Lab passieren: Gemeinsam mit den Komponist:innen, Librettist:innen, Regisseur:innen, Dirigent:innen, Sänger:innen und mit Mentor:innen wird eine erste Fassung erarbeitet, noch bevor die Proben beginnen. Bis zur Finalisierung bleiben den Künstler:innen anschließend Zeit und Raum, um sich auszuprobieren, Neues zu entwickeln, etwas wegzunehmen oder andere Methoden der Erarbeitung auszuprobieren. „Ich denke, die Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut entsteht auch ein bisschen als Mosaik. Vieles, das zunächst für sich alleine steht, lässt in Kombination mit anderen Ideen und Gedanken interessante Dinge entstehen. Das ist auch die Idee von Elisabeth Schweeger (Künstlerische Geschäftsführung der Kulturhauptstadt Bad Ischl, Anm.), dass etwas zusammenwächst. Die Short Operettas sind einer dieser Bausteine und ich bin gespannt, womit sie vielleicht zusammenwachsen“, schließt Alexander Charim ab. Der Vorhang hebt sich damit für eine kühne Reise in die Welt der Operette, um Vergangenes zu würdigen, die Gegenwart zu hinterfragen und die Zukunft des Theaters neu zu gestalten.

 

(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten / Salzburger Nachrichten am 16. März 2024)

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