Kunst im Zeitalter der Digitalität

13.10.2023
Interview
Christopher Lindinger | © Florian Voggeneder

Christopher Lindinger ist Innovationsforscher, Informatiker und Kulturmanager. Er ist Mitbegründer des Futurelabs der Ars Electronica in Linz und war Co-Direktor des Medienlabors, bis er 2019 zum Vizerektor an der JKU Linz bestellt wurde. Am 1. Oktober trat er die erste Professur für Kunst und Digitalität an der Universität Mozarteum an.

Herr Lindinger, Linz ist seit 2014 UNESCO City of Media Arts – Sie waren federführend an der Antragstellung beteiligt. Was verschlägt Sie in eine Stadt wie Salzburg und an die Universität Mozarteum?

Ursprünglich stamme ich aus Salzburg, einem Bundesland, zu dem/mit dem ich stets eine tiefe Verbundenheit bewahrt habe. Mit großem Interesse habe ich daher die Entwicklungen sowohl in der Stadt als auch im Land daher immer mitverfolgt. Ich bin überzeugt davon, dass mein vielfältiger Erfahrungsschatz aus unterschiedlichen Lebensphasen nun auch hier einen wertvollen Beitrag leisten kann. In diesem dynamischen Spannungsfeld, in dem sich die Stadt zwischen Tradition und Zukunft bewegt, sehe ich ein faszinierendes Potenzial, das es zu erkennen und zu entfalten gilt. In den letzten Jahren hat sich die Universität Mozarteum durch ihre klare Positionierung und konsequente Weiterentwicklung innerhalb des Universitätsverbunds hervorgetan. Es ist beeindruckend zu sehen, welche Entwicklung diese Einrichtung durchläuft und welchen symbolischen Wert sie für die Stadt, die Region und darüber hinaus innehat. Sie fungiert als unverzichtbarer Kristallisationspunkt für die kulturelle Weiterentwicklung Salzburgs und stellt daher zweifellos einen spannenden Betätigungsort dar.

Ab 1. Oktober werden Sie intensiv an Aufbau und Profilierung des 2023 neu gegründeten Instituts für Open Arts mitwirken – ein inter-, trans- und nondisziplinärer Workspace der Universität Mozarteum, der offene Strukturen für künstlerische Forschung in Theorie und Praxis bieten möchte. Was schwebt Ihnen vor?

Als Universitäten streben wir danach, unseren Absolvent*innen das notwendige Rüstzeug zu mitzugeben, damit sie in einer Welt großer Umbrüche wirksam agieren können – und das im gesamten Spektrum ihres Handelns – vom künstlerischen Schaffen bis hin zum gesellschaftlichen Engagement. Die Vielfalt an Disziplinen, Herausforderungen und Ausdrucksformen hat sich jedoch so stark ausgedehnt, dass der kulturelle Ansatz im Umgang mit all diesen Aspekten neu konzipiert werden muss. Und dieser erschließt sich ganz stark durch einen Brückenschlag zwischen Disziplinen und einer radikalen Öffnung hin zu allen gesellschaftlichen Akteur*innen. Der Workspace im Institut für Open Arts soll genau diesen Überlegungen gerecht werden. Er soll als Keimzelle und Symbol für diese neue Kultur dienen, in der der Austausch, die Produktion und die kritische Auseinandersetzung gleichermaßen ermöglicht und gefördert werden.

Das Spektrum der künstlerischen Disziplinen an der Universität Mozarteum ist breit – von Schauspiel und Regie über Bühnenbild, Bildende Künste und Tanz bis hin zur Musik in allen Facetten ist das Feld weit gesteckt. Wo/worin sehen Sie die stärksten Potenziale? Haben Sie bereits konkrete Projektideen im Kopf?

In den vergangenen Wochen führte ich zahlreiche Gespräche mit Kolleg*innen aus verschiedenen künstlerischen Disziplinen. Es war erfreulich zu erleben, wie offene Haltungen und eine förderliche Gesprächskultur unmittelbar zu potenziellen Berührungspunkten und ersten Projektideen führen können. Während bei einigen Disziplinen die Verbindung zur Digitalität – denken Sie an Augmented oder Virtual Reality – offensichtlicher ist, wie beispielsweise in der Szenografie oder im Schauspiel, möchte ich jedoch weniger die Disziplinen betonen als vielmehr die involvierten Personen, mit denen ich diese Entwicklungen vorantreiben darf. Hier erhielt ich eine breite positive Resonanz, die mich außerordentlich inspirierte.

Sie werden auch maßgeblich an der Entwicklung von Lehrkonzepten im Bereich Kunst und Digitalität beteiligt sein. Wie sieht ein Kunst- und/oder Musikstudium der Gegenwart und Zukunft Ihres Erachtens aus? Womit sollten sich junge Künstler*innen auseinandersetzen und beschäftigen?

Eine der zentralen Herausforderungen für Kunstuniversitäten und das künstlerische Schaffen im Allgemeinen wird zweifellos der Umgang mit generativer künstlicher Intelligenz sein. Bereits jetzt erkennen wir das enorme Potenzial dieser Technologien – sei es durch Textgenerierungssysteme wie ChatGPT oder Softwaretools, die in der Lage sind, musikalische Kompositionen zu vervollständigen oder sogar eigenständig zu erschaffen. Wir befinden uns in einer Phase, in der sich die Technologie schneller entwickelt als unser Verständnis, wie sie angewendet werden kann. Dadurch ergeben sich grundlegende Fragen hinsichtlich ihrer Bedeutung und der besten Ansätze, um mit ihnen umzugehen. Genau in diesem Bereich möchte ich einen Schwerpunkt setzen. Es ist von essenzieller Bedeutung, die Entwicklung dieser Technologien kritisch zu hinterfragen und zur Entmystifizierung beizutragen. Diese Technologien sollten nicht als Ersatz, sondern vielmehr als Werkzeuge, Unterstützer oder „Begleiter“ im künstlerischen Schaffensprozess betrachtet werden. Um dieses Ziel zu erreichen, plane ich, die Entwicklung solcher Technologien sowohl mit Partnern vor Ort als auch international aktiv voranzutreiben und zu erproben. Der Umgang von Studierenden mit diesen Technologien in Lehre und Praxis, sei es in der Anwendung oder in der kritischen Reflexion, wird zweifellos in den kommenden Jahren eine Schlüsselrolle in der Bildung an Kunstuniversitäten spielen.

Mit dem Neubau der Universität Mozarteum am Kurgarten (UMAK) erhalten die Stadt Salzburg, das Kultur-Areal um den Mirabellgarten und das Paracelsus-Bad ab 2025 einen neuen Akteur und Nachbarn. Ein dort beheimatetes österreichweit einzigartiges X-Reality-Lab soll zukünftig das Experimentieren mit und das Produzieren von erweiterten Bild-, Video- und Soundwelten ermöglichen. Mit im Planungsteam agieren renommierte Institutionen wie das IRCAM (Paris), aber auch die Ars Electronica. Können Sie bereits mehr über die Konzeption verraten?

Das X-Reality-Lab ist gegenwärtig so konzipiert, dass eine Vielzahl von visuellen und auditiven Erlebnissen möglich ist. Es handelt sich um einen Raum, in dem die Betrachter*innen von durchgängigen Projekten umgeben sind, die in der Lage sind, dreidimensionale Bildwelten darzustellen. Eine anspruchsvolle Anordnung von Lautsprechern ermöglicht eine räumliche Klangwiedergabe und erlaubt es den Rezipient*innen, auf eine einzigartige Weise sowohl akustisch als auch visuell in diese Welt einzutauchen. Das X-Reality Lab stellt eine ausgefeilte technische Infrastruktur dar, die eine einzigartige Plattform für künstlerischen Ausdruck bieten soll.

Mit dem Prix Ars Electronica, gerne auch als „Oscar“ der Computerkunst bezeichnet, wurde 2021 erstmals ein Projekt der Universität Mozarteum in Kooperation mit der Künstler*innengruppe gold extra (Black Day) und der Neuen Mittelschule Lehen in der Kategorie U14 ausgezeichnet. Welche fruchtbaren Erfahrungen aus Ihrer Zeit bei der der Ars Electronica nehmen Sie mit an die Universität Mozarteum und was wünschen Sie sich?

Während meiner Zeit bei der Ars Electronica konnte ich kontinuierlich von der Vielfalt an faszinierenden Persönlichkeiten, der Offenheit und Internationalität profitieren. Diese Erfahrung hat mir verdeutlicht, dass Berührungsängste hier keine Rolle spielen und alle Beteiligten von einer gemeinsamen Begeisterung angetrieben werden. Diese lebendige Dynamik führte nicht nur zu fruchtbaren Zusammenarbeiten, sondern auch zu inspirierenden kreativen Prozessen.Die Brückenschläge zwischen verschiedenen Disziplinen und kulturellen Hintergründen, die ich während meiner Zeit an der Ars Electronica erlebt habe, möchte ich an der Universität Mozarteum weiter intensivieren. Letztendlich hoffe ich, dass die Energie und Leidenschaft, die ich in der Schnittstelle von Kunst und Technologie erfahren habe, auf die Studierenden übergreifen und sie dazu anregen, über konventionelle Grenzen hinwegzudenken und mutige Schritte in ihrer eigenen künstlerischen Entwicklung zu unternehmen.

 

(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten / Salzburger Nachrichten am 7. Oktober 2023)

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