Turmbau zu Babel

06.03.2023
News
Projekt Spiel! / Spot On MozART Expo | © Christian Schneider

Das im Aufbau befindliche neue Institut für Open Arts der Universität Mozarteum bietet einen inter-, trans- und nondisziplinären Workspace. Ein Gespräch mit Claudia Lehmann, die das Institut seit 1. März leitet.

Bild: Installation „Spiel“ von Marcel J. V. Kieslich im Rahmen des Projekts Spot On MozART.

Worin liegt die Besonderheit des Instituts für Open Arts?

Die Besonderheit des Instituts liegt darin, Grenzen zu überwinden, Denkmuster zu durchbrechen und neue Verbindungen zwischen den Künsten, den Wissenschaften und deren Praxis zu  ermöglichen. Das Institut versteht sich insofern als inter-, trans- und nondisziplinärer „Raum“ mit vielen Türen zu vielen anderen Räumen. Da es an der Universität bereits Forschungsprojekte gibt, innerhalb derer übergreifende Projekte realisiert werden – ich denke da an With Dylan on the Road oder Spot on MozART –, war die Gründung des Instituts eine logische Konsequenz.

Was werden das Institut bzw. die Studien, die dort angesiedelt sein werden, vermitteln? 

Ergänzend zu dem künstlerischen Doktoratsstudium sind wir gerade dabei, verschiedene Studien zu entwickeln. Das ist ein  Annäherungsprozess, an dem viele Menschen beteiligt sind. Für mich steht dabei immer wieder die Frage im Zentrum: Wie können wir uns für die Zukunft rüsten, im Denken und Neudenken, in der Art und Weise, wie wir – auch miteinander – arbeiten, wie wir uns ausdrücken? Es geht um künstlerische Forschung, die neben allen neuen Ansätzen und dem Blick über den Tellerrand Expertisen braucht. Dahingehend entwickeln wir Studienformate, die ebendies ermöglichen. 

Welchen Stellenwert werden „digitale Ansätze“ haben? 

Diese Ansätze haben enorm hohen Stellenwert. Die Digitalisierung ist aus unserem Leben und damit auch aus der Kunst nicht mehr wegzudenken. Das bringt natürlich auch ungeahnte Möglichkeiten mit sich. Ein Studium wird sich speziell mit transmedialen Räumen und Narrativen  beschäftigen. Mit dem Bau des UMAK (Universität Mozarteum am Kurgarten) und dem dort angesiedelten X-Reality-Lab gibt es dann auch ein Labor für Digitales, in dem neue immersive, visuelle und auditive Formate erforscht werden können. Wir suchen auch immer wieder den Brückenschlag vom klassischen zum digitalen Arbeiten. 

Haben Sie das Gefühl, dass sich traditionelle Kunstdisziplinen „Grenzen“ auferlegen? Möglicherweise auch ausgehend von einer Erwartungshaltung des Publikums oder von Kulturveranstaltern?

Ich habe das Gefühl, dass sich die Menschen  an sich zu viele Grenzen auferlegen. Wir sind doch sehr in unseren selbst geschaffenen Systemen gefangen. Das sehen wir auch in der politischen Weltlage. Wir befinden uns ja gerade in einem Prozess von neuen, aber altbekannten Abgrenzungen. Die Kunst kann auf einer anderen Ebene Zusammenhänge sichtbar machen und Themen in den Mittelpunkt rücken, die sonst schnell in Konflikten enden. Den „Grenzen“ gilt es eine Offenheit entgegenzusetzen und die Studierenden zu ermutigen. Dennoch geht es auch in der Kunst zu oft darum, Prozesse zu ökonomisieren, Erwartungshaltungen zu erfüllen. Der wirtschaftliche Faktor ist nicht zu unterschätzen. Über die Zeit etablieren sich Dinge, die zu selten hinterfragt werden: vorhandene Strukturen, Vorgehensweisen, Prozesse, auch Aufführungspraxen. Das Hinterfragen und ein damit verbundenes Innehalten kann man sich nicht immer leisten. Eine neue Perspektive eröffnet sich meist erst, wenn man über Disziplinen hinweg miteinander in einen Austausch kommt.

Inwiefern ist das Abweichen von bestehenden Normen wichtig? Worin liegt der gesellschaftliche Nutzen dieses „Open-Arts-Ansatzes“? 

An dieser Stelle zitiere ich Frank Zappa: „Ohne Abweichung von der Norm ist Fortschritt nicht möglich.“ Damit wird hoffentlich auch der gesellschaftliche Nutzen des Ansatzes klar. Wir müssen über die hochspezialisierten Disziplinen hinweg lernen zu kommunizieren. Das heißt nicht, die  bewährten Spezialisierungen aufzugeben, sondern sie sich zunutze zu machen, mit einem übergreifenden Denken und Handeln zu koppeln und im besten Sinne Wissen aus mehreren Bereichen  zusammenzuführen. 

Besonders Instrumentalist*innen sind es gewohnt, sehr viel Zeit in ihr Instrument zu investieren, um technische Perfektion zu erlangen. Wie werden junge Künstler*innen an Projekte herangeführt, in denen verschiedene, auch neue Techniken,  Kunstdisziplinen und Methoden zum Einsatz kommen?

Hier werden wir viel lernen und probieren müssen. Ziemlich sicher werden aber zwei Ansätze vonnöten sein. Auf der einen Seite muss man sich mit Inhalten, Material und Kontexten auseinandersetzen und auf der anderen mit technischen Skills. Das ist ja heute in Arbeit und Lehre an sich schon eine Herausforderung, da die Entwicklung nicht stehen bleibt. Ein weiterer Punkt steht wie ein Dach über allem: die Reflexion dieser Entwicklung und deren Bedeutung, also die philosophische Ebene.

Wie verändern sich die Wahrnehmung und der Blick auf die Kunst im interdisziplinären Kontext?

Nur das, was wir wahrnehmen, erfahren und erleben, können wir auch erkennen und verstehen und daher bin ich davon überzeugt, dass sich die Kunst und die Künste sowie der Blick darauf verändern werden. Interdisziplinarität führt ja zu anderen Erfahrungen und Erkenntnissen. Die Technologie spiegelt sich auch in den gesellschaftlichen Themen wider. Das Knüpfen neuer Bande führt dann zu einer Rückkopplung. 

Welche Erfahrungen haben Sie selbst bei der Entwicklung von inter-, trans- oder nondisziplinären Projekten gesammelt? 

Das Arbeiten in solchen Projekten bringt in der Regel das Aufeinandertreffen von Spezialist*innen mit sich. Das bedeutet, dass man auch eine gemeinsame Sprache entwickeln muss. In jedem Fall geht es um Verständnis und Respekt füreinander und für die andere Disziplin, das andere Gewerk. Es geht um Wertschätzung und dann wieder darum, auch persönliche Grenzen auszuloten. Wenn das gelingt, ist das Ganze in jedem Fall mehr als die Summe seiner Teile.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für das Institut in den kommenden Monaten? 

Die größte Herausforderung sehe ich darin, ein realistisches Studienangebot zu ermöglichen. Die Universität alleine ist schon ein komplexes System. Die bereits vorhandenen Studienangebote, -pläne und Curricula wurden oft über Jahre entwickelt und verbessert. Aber wenn man ein freies, übergreifendes Studieren ermöglichen will, muss man sich bewegen, auch Kompromisse eingehen. Das ist wie ein Gebäude errichten, wie der Turmbau zu Babel, nur dass wir die unterschiedlichen Sprachen nicht als Strafe Gottes ansehen, sondern als Geschenk.


Zur Person

Claudia Lehmann ist promovierte Physikerin, Filmemacherin und Videokünstlerin, ihre Arbeiten sind auf internationalen Festivals, im Kino, in diversen realen und virtuellen Räumen zu sehen. Sie entwickelt visuelle Konzepte, Videobühnenbilder und eigenwillige Live-Video-Performances, immer wieder in Zusammenarbeit mit Nicolas Stemann. Gemeinsam mit dem bildenden Künstler und Komponisten Konrad Hempel gründete sie das Institut für Experimentelle Angelegenheiten, IXA. Seit 2019 ist sie Professorin für Filmkunst und Visuelle Kommunikation an der Universität Mozarteum.

 

(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten / Salzburger Nachrichten am 4. März 2023)