Der Lernende Körper

04.03.2023
News
Eine Frau verbirgt ihren Kopf in einer Muschel aus Papier | © Sebastian Albert

Wie können (Körper-)Grenzen überwunden werden und was hat der eigene Körper noch nicht gelernt? Diesen Fragen gehen zehn Studierende des Lehramtsstudiums „Gestaltung: Technik.Textil“ in einer Ausstellung im Bauhaus Museum Dessau nach.

Ausstellung im Experimentierraum,
Bauhaus MuseumDessau

30. 3. 2023–21. 1. 2024

Projektteam:
Corina Forthuber (Leitung), Stefano Mori & Patrick Schaudy

Bild: Julia Kirnich: Antisocial-Backpack

Das Bauhaus Dessau ist das ehemalige Schulgebäude des Staatlichen Bauhauses und Heimat der in Weimar gegründeten Kunstschule. Auch knapp 100 Jahre nach seiner Errichtung steht es für eine der einflussreichsten Bildungsstätten im Bereich Architektur, Design und Kunst. Und für die – damals revolutionäre – Zusammenführung von Kunst und Handwerk: Wer sich heute mit Design beschäftigt, beschäftigt sich mit dem Bauhaus. Das heutige Bauhaus Museum Dessau vereint die historischen Meisterhäuser und Werkstätten mit einem neuen Gebäude, das von den spanischen Addenda Architects entworfen und vor vier Jahren eröffnet wurde. Hier gibt es inmitten der Sammlung, die Arbeiten von damaligen Bauhaus-Schüler*innen und -Lehrenden zeigt, drei Räume für wechselnde Ausstellungen. Im „Experimentierraum“ ist von 30. März bis 7. Jänner 2024 eine Ausstellung von zehn Studierenden des Departments für Bildende Künste & Gestaltung der Universität Mozarteum zu sehen. 

„Vor circa zwei Jahren wurde ich zum European Forum on Education-Oriented Design Making: ,Towards a Bauhaus School Europe: Workshops for the Whole Earth‘ des Bauhauses eingeladen, das der Frage nachging, welchen Beitrag das Bauhaus und Gestalter*innen gegenwärtig und in Zukunft leisten können und sollen. Ich stellte dabei unser Lehramtsstudium Gestaltung: Technik.Textil mit unserem Leitbild ,How to make? How to think? How to live?‘ vor und das kam sehr gut an. Anne Schneider von der kuratorischen Werkstatt der Stiftung Bauhaus Dessau war im Gegenzug Gast bei unserem Talk-Format ,Jour Fixe‘ – und war von den Werkstätten und unserem Studium begeistert. Ein vergleichbares Lehramtsstudium für Design wird in Deutschland nicht angeboten und das  Studium Gestaltung: Technik.Textil am Department für Bildende Künste & Gestaltung an der Universität Mozarteum Salzburg ist eine Besonderheit in der österreichischen Lehramtsfächerlandschaft, was Ausstattung und Betreuung betrifft. Nach diesem Besuch erhielten wir die Anfrage des Bauhauses für die Kooperation“, erzählt Corina Forthuber, Universitätsprofessorin im Bereich Gestaltung (Technik) und Projektleiterin von „Der Lernende Körper“.

Die Ausstellung ist Teil des Jahresprogramms in den „Zwischenräumen“ des Bauhauses, die sich 2023 mit Gesten des Körpers beschäftigt. Gemeinsam mit Oliver Klimpel, dem Leiter der kuratorischen
Werkstatt, wurde das Thema entwickelt, das Corina Forthuber im Wintersemester 2022/23 als Semesterprojekt mit zehn Bachelorstudierenden umsetzte. „Es war eine sehr mutige Einladung, auch eine Aufforderung zum Experiment! Am Anfang war nicht klar, was daraus entsteht, das Thema war auch für die Studierenden nicht einfach. Es ist keine klassische Designaufgabe, sich mit dem eigenen Körper und dessen Modifikationsmöglichkeiten zu befassen. Ein großartiger Einstieg ins Thema waren ein gemeinsamer Besuch der Bauhausarchitektur in Dessau und ein Workshop mit der Stiftung Freizeit, einem Architekturkollektiv aus Berlin. Wir begannen mit dem Ausbrechen aus der gewohnten, gelernten Körpererfahrung und haben Dinge gemacht, die man im öffentlichen Raum sonst bestimmt nicht macht: in einem Einkaufszentrum auf allen vieren kriechen oder hüpfen, robben, auf einem Bein springen oder rückwärtsgehen. Oder sich in einem Museum hinlegen und schlafen (lacht). Um die eigene Hemmung oder Erinnerung zu verlieren.“ 

Eine Arbeit beschäftigt sich mit dem Schreiben mit anderen Körperteilen und ermöglicht die Erfahrung, dass Menschen mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen alltägliche Dinge anders erlernen müssen.
Eine andere Arbeit lädt dazu ein, sich selbst in Third-Person-Perspektive wie in einem Computerspiel real zu sehen und zu bewegen, eine Studierende entwarf den „Antisocial Backpack“ für den persönlichen Rückzug im öffentlichen Raum. „Die Studierenden fokussierten sich auf unterschiedliche Körperteile und versuchten, das Gelernte über Bord zu werfen und herauszufinden, wo der Körper als Ganzes noch nicht erfahrbar gemacht wurde. Das Projekt kann wirklich als Bewusstseins- und Körpererweiterung gesehen werden. Analog auch zu der Körperkultur, die im historischen Bauhaus eine große Rolle spielte.“ Die Zusammenarbeit mit dem Bauhaus Museum Dessau ist für Corina Forthuber in mehrfacher Hinsicht gewinnbringend: „Unsere Häuser ergänzen sich sehr gut: ein Museum, das früher eine bahnbrechende Schule für Gestaltung war, und eine Universität, deren Studierende später in Schulen unterrichten und Gestaltung vermitteln. Das passt hervorragend zusammen. Zwei unterschiedliche Institutionen mit dem gleichen Anliegen und den gleichen Zukunftsfragen. Diese Fragen schwingen bei jedem Entwurf der Studierenden auch mit.“ Einmal das Bauhaus gesehen zu haben und die Geschichte vor Ort zu erleben ist für alle Studierenden im Bereich Gestaltung, Handwerk oder Architektur wichtig – mit dem Bauhaus zusammenzuarbeiten ist eine enorme Chance, betont Corina Forthuber. Mit sehr funktionalen Herangehensweisen wirken Historie und Revolution des Bauhauses bis ins Heute und aktuell wird überlegt, wie es weitergeht: ein Hinterfragen der eigenen Rolle, auch im Sinne von Inklusion, Diversität, Nachhaltigkeit und  dem „Über-den-Tellerrand-Blicken“.

Dass das Bauhaus tatsächlich alle Prototypen, die erarbeitet wurden, ausstellt, war eine große Überraschung für Forthuber und ihre Studierenden. Ursprünglich war eine Bespielung des Raums mit Videos oder einzelnen Projekten geplant. Alle Objekte werden ausgestellt, innerhalb des Vermittlungsprogramms nutzbar gemacht und neun Monate in Dessau zu sehen sein, mitten in der Sammlung und den Arbeiten der damaligen Bauhäusler. Die Arbeit, die sich mit dem Schreiben mit anderen Körperteilen beschäftigt, kann permanent ausprobiert werden. „Das war auch das Schöne an diesem Projekt: Die Studierenden nutzten wirklich alle Aspekte des Studiums, mit ganz unterschiedlichen Materialien und Techniken. Sie lernen in den ersten beiden Studienjahren Grundlagen in zehn Werkstätten von Holz-, Papier-, Keramik-, Kunststoff- und Metallwerkstätten über Schneiderei, Weberei, Färberei, Siebdruck zu 3D-Druck bis zu Fotostudio und erhalten theoretischen, fachdidaktischen und gestalterisch-künstlerischen Input. Die Werkstätten in der Alpenstraße und ihre Vielseitigkeit sind sehr besonders und bieten extrem viele interdisziplinäre Möglichkeiten im Studium. Diese Vielfalt konnte zu 100 Prozent in das Projekt einfließen.“ 

Besonders neugierig ist Corina Forthuber auf die Resonanz der Ausstellung. „Vielleicht lernt dabei jemand wirklich, mit der Ferse zu schreiben (lacht). Die Ausstellungsdauer ist sehr lange, ich freue mich, wenn sich viele Menschen darauf einlassen und die Arbeiten der Studierenden nach außen leuchten können. Nicht zuletzt, dass auch das Department für Bildende Künste & Gestaltung und unser Studium Gestaltung: Technik.Textil wahrgenommen werden. Das Fach hat gegenwärtig und zukünftig große Relevanz, davon bin ich überzeugt. Gerade in einer sich rasant verändernden Welt sind ein Hinterfragen gewohnter Handlungen, ein Wissen in Handwerk, Reparatur und Wiederverwertung, ein bewusster Umgang mit Ressourcen in Kombination mit der Digitalisierung für unsere Studierenden essenziell und extrem wertvoll – vor allem, weil sie es später in die Schulen und somit in die Zukunft tragen.“

 

Mit Arbeiten von:
Julia Kirnich, Christian Veichtlbauer, Elena Lengauer, Julia Burgholzer, 
Matthias Salfinger, Valerie Marie-Luise Magnus, Pia Geisreiter, Benedikt Veichtlbauer, Alba Malika Belhadj Merzoug, Leonie Lindinger

 

(Ersterschienen in den Uni-Nachrichten / Salzburger Nachrichten am 4. März 2023)

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