Alexandra Szemerédy & Magdolna Parditka sprechen über ihre Inszenierung
(Interview: Christian Arseni)
„Wo bin ich?“ Die Antwort auf die ersten gesprochenen Worte, die Schikaneder Tamino in der „Zauberflöte“ in den Mund legt, lautet in eurer Inszenierung nicht: im Reich der Königin der Nacht, sondern: auf einer „Zauberflöten“-Probe. Wie kam es zur Entscheidung, diese neue Rahmenhandlung zu erfinden und auf die originalen Dialoge weitestgehend zu verzichten?
Alexandra Szemerédy: Wo bin ich? Wer bin ich? Wo will ich hin? Wer will ich sein? – Das sind Fragen des Sich-selbst-bewusst-Werdens, ein Erwachen des eigenen Selbst. Es geht darum, die eigene Position im Koordinatensystem zu bestimmen, um eine Art Selbstvermessung. Um eine „innere Reise“ beginnen zu können, ist diese Selbstbefragung unabdingbar: Sie markiert den Weg, der vom Zustand der Fremdbestimmung zur Selbstbestimmung führt. In unserer Interpretation ist es nicht nur Tamino, der gezwungen wird, sich diese Fragen zu stellen – dasselbe gilt für Pamina und im weiteren Sinne für alle.
Magdolna Parditka: Ja, wir proben die „Zauberflöte“, und gleichzeitig werden wir alle, als Teilnehmende, auf die Probe gestellt. Unser Ausgangspunkt war es, neben dem Werk selbst insbesondere die Arbeit am Werk in den Fokus der Inszenierung zu rücken, die von uns selbst erlebte Musiktheater-Realität auf die Bühne zu bringen. Wir zeigen genau das, was normalerweise hinter den Kulissen verborgen bleibt, stülpen sozusagen die Nähte nach außen und lassen die Zuschauer so einen Einblick in den Entstehungsprozess einer Produktion gewinnen. Die Backstage-Atmosphäre ermöglicht es, live dabei zu sein, wenn der „Zauber“ entsteht, führt aber gleichzeitig auch den beschwerlichen Weg dorthin vor Augen.
AS: Für unsere Parallelerzählung haben wir neue Texte erstellt, die auf verschiedenen Ebenen mit Schikaneders Original korrespondieren. Die Situationen, die wir erschaffen haben, befinden sich in ständiger Wechselwirkung mit dem „Zauberflöten“-Stoff: Dialoge, die wirken, als wären sie aus dem Augenblick heraus entstanden, stehen bewussten Zitaten aus dem Original gegenüber. Diese zwei Erzähl-Ebenen bedingen einander und vermischen sich, die Grenzen zwischen Spiel und Realität verschwinden nach und nach.
Die jungen Hauptfiguren der „Zauberflöte“ durchlaufen einen Prozess, aus denen sie als reifere, mündigere Menschen hervorgehen. Machen die fiktiven Interpreten und Interpretinnen, die in eurer Inszenierung diese Rollen verkörpern, vergleichbare Erfahrungen?
MP: Ja, auch hier geht es um eine Wechselwirkung: Wir erleben die Mitwirkenden bei der Arbeit an einer „Zauberflöten“-Aufführung und beobachten währenddessen, wie das Werk selbst Einfluss auf sie nimmt und sie verändert. Die Frage ist dabei: Forme ich die Rolle oder werde ich von der Rolle geformt?
AS: Unser Ziel ist es, eine Art Verschmelzung herbeizuführen. Die fiktiven Interpreten werden immer mehr in die „Zauberflöten“-Geschichte hineingesogen, und gleichzeitig werden die „Zauberflöten“-Figuren mit Situationen konfrontiert, die aus der Realität der Darsteller heraus motiviert sind. Diese Grenzüberschreitungen führen schließlich in eine neue Realität, in der sich die Handlung der Oper und die Parallelwelt der Interpreten geheimnisvoll vermischen.
Die beiden machtvollen Elternfiguren der „Zauberflöte“, die Königin der Nacht und Sarastro, erscheinen zumindest aus der Perspektive des jeweils anderen als Gegensätze. Wie wichtig sind diese Polaritäten, die Nacht-Licht-Symbolik für euch? Welche Rolle spielt die ältere Generation, vor allem die hinzuerfundene Figur der Regisseurin?
MP: Die Gegensätze der Perspektiven erscheinen in unserer Inszenierung in Form der gegen- oder miteinander wirkenden Kräfte von Musik und Szene. Die Darsteller werden in gewisser Hinsicht zu Spielzeugen dieser beiden Mächte. Und tatsächlich ist Musiktheater jene Kunstform, die genau aus dem Zusammenwirken dieser Polaritäten heraus existiert. Paminas und Taminos Aufgabe ist es, das Gelernte für sich zu nützen, sich dann aber von den „machtvollen Elternfiguren“ zu befreien und ihren eigenen Weg zu finden – wobei nicht gesagt ist, dass sie diesen für immer gemeinsam gehen werden.
AS: Die fiktive Regisseurin, Frau Stern, ist eine andere Erscheinungsform der Königin der Nacht, ähnlich wie der Dirigent, Herr Sonnig, eine Projektion von Sarastro ist. Durch diese beiden Figuren wird die stückimmanente Dualität von zwei Prinzipien noch stärker greifbar. Die Figur der Regisseurin reflektiert zugleich unsere eigene Auseinandersetzung mit dem Werk: Sie ist das Auge von außen, sie wirkt als Katalysator der Selbst- und der Werkbefragung.
Der Männerbund der „Eingeweihten“ zeigt frauenfeindliche Tendenzen, und dass Pamina an den Schlussprüfungen teilnimmt, ja dabei sogar zur Führerin Taminos wird, war von Sarastro sicher nicht so vorgesehen. Welchen Stellenwert nimmt die Figur der Pamina für euch ein?
AS: Pamina ist psychologisch gesehen die spannendste Figur: Sie steht im Kreuzfeuer gegensätzlicher Erwartungen, der Druck wird irgendwann unerträglich für sie und mündet in selbstverletzendem Verhalten. Die Darstellerin der Pamina gerät in ein dunkles Zwischenreich zwischen Realität und Fiktion, aus dem sie herausfinden muss: eine extreme „Prüfung“, die ihr vielleicht mehr innere Stärke abverlangt als allen anderen.
MP: Es war uns sehr wichtig, alle Interpreten und ihre Rollen als von Ambivalenz geprägt zu zeigen – zu verdeutlichen, dass sich alle zwischen den abstrakten Polen von „Nacht“ und „Sonne“ bewegen, und ihre Charaktereigenschaften nicht klischeehaft in eine einzelne Richtung zu biegen. Gerade bei der „Zauberflöte“ ist es notwendig, auch traditionelle Geschlechter-Rollenbilder zu überdenken, damit nicht „Mann“ und „Weib“ in den Vordergrund gerückt werden, sondern das Menschsein.